Die Wege der Ariadne

"Der König ist tot – es lebe der König!" Dieses Sprichwort aus dem Französischen trifft sehr gut das, was gerade in Westfalen mit dem Vernetzungstreffen namens Ariadne passiert.

Denn die Frauen von XXelle Westfalen haben sich dazu entschlossen, nach zwanzig Jahren die Ariadne-Treffen in ihrer ursprünglichen Form auslaufen zu lassen. Sie tauschen jedoch nur die Hülle, nicht den Inhalt. So wie der König auch nur eine beständige Form bzw. Figur ist, die erst mit Inhalt bzw. Leben gefüllt werden muss. Aber warum der Wandel?

Dazu ist es sinnvoll, sich noch einmal in die Gründungszeit von Ariadne vor Augen zu führen. Seit 1997 gab es den Runden Tisch Westfalen, ein regelmäßiges Treffen der Aidshilfe-Mitarbeiterinnen aus Ahlen, Bielefeld, Münster, Paderborn und dem Westmünsterland. Beim gegenseitigen Austausch wurde hier eines immer deutlicher: Die Frauen mit HIV/Aids in Westfalen fühlen sich isoliert. Die lokalen Aidshilfen selbst waren zu klein und es hat sich als zu schwierig erwiesen, hier eine Gruppe eigens für Frauen mit HIV/Aids zu etablieren. Bundesweite Treffen waren zu weit entfernt und zu groß.

Was aber ebenfalls zur Lebensrealität damals gehörte und heute kaum mehr vorstellbar ist: Es gab keine Telefon-Flatrate, es gab keine E-Mails, es gab kein Internet, kein Skype, kein Social Media. Es gab so gut wie keine Möglichkeiten, sich über eine weitere Entfernung mit anderen positiven Frauen auszutauschen. Und am gleichen Ort jemanden mit ähnlichem gesundheitlichen und kulturellen Hintergrund zu finden, war im ländlichen Raum eher unwahrscheinlich und noch dazu höchst riskant. Denn wie geht mein Gegenüber mit diesem Wissen um?

Aus dieser Situation heraus entwickelte XXelle Westfalen 1999 das Angebot Ariadne als erstes ortsübergreifendes, aber regional begrenztes Vernetzungstreffen für Frauen mit HIV/Aids. Es war ein Angebot zur Begegnung, zum Austausch mit Frauen, die eine vergleichbare Krankheitsgeschichte erlebten. Ein Angebot zum Aussteigen aus dem Alltag. Für einen Tag. Ariadne wurde im Laufe dieser Jahre von vielen XXelle-Mitarbeiterinnen mit großem Engagement und Eifer (weiter-)entwickelt, betreut und durchgeführt. Sie legten für jedes Treffen jeweils einen speziellen Programmpunkt fest, der zwar banal klingen mag, aber einen ganz konkreten und durchdachten Hintergrund hatte. So mag man beispielsweise über eine Farbberatung lächeln, aber dahinter steckt der Gedanke, dass sich die Frauen mit ihren Körpern befassen, sich auseinandersetzen und sich zeigen. Bestenfalls nehmen sie nach einem solchen Ariadne-Tag Ideen mit, wie sie sich mit ihrem Körper wohler fühlen können. Was sie selbst dazu beitragen können, um zum Beispiel die sichtbaren Folgen der Fettumverteilungsstörung, die sich im Zusammenhang mit bestimmten Wirkstoffen aus HIV-Medikamenten ergeben kann, etwas weniger sichtbar zu machen. Ihr Körper mag sich verändert haben, aber es gibt Mittel und Wege, dennoch einen guten Umgang mit dieser Symptomatik und dem eigenen Körper zu finden. Zum Beispiel durch eine Farbberatung.

Die Leitidee bei Ariadne war und ist es, die Frauen dabei zu unterstützen, einen guten Weg für sich zu finden, sich selbst mit ihrer chronischen Krankheit und all dem, was diese mit sich bringt, auseinanderzusetzen. Ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ganz wichtig: Gefährtinnen auf diesem Weg zu finden. Denn wir alle sind soziale Wesen und brauchen den Austausch – in diesem Fall am besten mit Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden.

Dieses Konzept hat lange Jahre sehr gut und erfolgreich funktioniert. In diesen zwanzig Jahren hat sich aber auch vieles verändert. 

So ist die Gruppe der Frauen mit HIV/Aids aus Westfalen wie auch anderswo immer heterogener geworden. Heute treffen Frauen mit langer HIV-Geschichte, die sich jetzt vielleicht mehr für das Thema Altwerden mit HIV und den Nebenwirkungen der seit Jahren eingenommenen Medikamente interessieren , auf Frauen, die gerade erst aus einem fremden Land hier angekommen sind, gerade erst ihre Diagnose erhalten haben, die Sprache noch nicht kennen und sich zurecht finden müssen. Junge Frauen, die schwanger sind. Da liegen manchmal Welten dazwischen. Natürlich spielen unterschiedliche kulturelle Hintergründe auch eine sehr große Rolle. Der Selbsthilfegedanke ist nicht in allen Ländern so selbstverständlich wie bei uns in Deutschland. Für viele Frauen mag es noch befremdlich sein, sich gegenüber bisher gänzlich fremden Frauen zu öffnen. Sie sind vielleicht schüchtern und vorsichtig. Andere sind lebhafter und manchmal auch lauter. Alles darf sein, passt aber nicht unbedingt zueinander.

Auch haben sich die Frauen mit HIV/Aids und ihre Lebensumstände selbst sehr geändert. Sie stehen oftmals heute fest im Berufsleben, leben in Partnerschaften. Sie sind selbstbewusster geworden als noch vor zwanzig Jahren. Beides bringt es aber auch mit sich, dass ihnen weniger Zeit für ganztägige Treffen zur Verfügung steht.

Was aber mindestens genauso entscheidend ist, ist die rasante Entwicklung der technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Denn heute gibt es all das, was eingangs noch verneint wurde. Man kann sich finden, ohne große Entfernungen überwinden zu müssen, wenn man will auch anonym. Es ist heute viel einfacher und nicht zu vergessen: auch kostengünstiger, mit jemandem in Kontakt zu treten und ihn zu halten.

Um dem allem Rechnung zu tragen, haben die Kolleg*innen von XXelle Westfalen ihr Ariadne-Konzept dynamisch angepasst. Der zunehmenden Differenzierung der Zielgruppen stehen nun kleinere lokale Gruppenangebote gegenüber, die in ihren Inhalten und ihrer zeitlichen Struktur passgenauer auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sind. So findet beispielsweise in Paderborn seit einiger Zeit im Frühjahr eine Art Bärlauch-Treffen statt, in welchem Bärlauch gesammelt und gemeinsam verarbeitet wird. Dabei lässt sich wunderbar über die Probleme mit der Nachbarschaft oder die Verträglichkeit von Medikamenten klönen. Und Leichtigkeit entwickeln.

Diese kleineren Angebote gibt es bereits oder sie sind gerade in Arbeit. Fest steht: Ariadne lebt weiter! Und wird weiter Orientierung und einen roten Faden für alle Frauen mit HIV/Aids in Westfalen bereithalten. Dank des jahrelangen, zuverlässigen und großartigen Engagements aller beteiligten Kolleg*innen.

 

 

Einen älteren Artikel über die Ariadne-Treffen der Frauen in Westfalen lesen Sie hier.

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