Aktiv, engagiert, selbstbewusst!

Viele Frauen haben sich im Laufe der Zeit für die Arbeit im Bereich Frauen und HIV/Aids eingesetzt. Sie sind HIV-positiv, -negativ oder ungetestet. Sie arbeiten haupt- oder ehrenamtlich, politisch oder in der praktischen Arbeit vor Ort. Darüber hinaus wird XXelle lebendig durch die vielen Frauen, die sich zu Wort melden, um dem Thema ihre Stimme zu geben. Was sie bewogen hat oder bewegt, sich in Aidshilfen zu engagieren, wie sie dazu kamen und was sich im Laufe der Jahre geändert hat beschreiben wir hier.

Älter werden: Mit HIV in die Jahre gekommen

Mit HIV in die Jahre gekommen

Stacy, Silvia, Renée, Victory, Ada und Anke. Fünf Frauen zwischen 44 und 62, fünf individuelle Biografien. Es gibt zwei Verbindungsmerkmale: Alle sind HIV-positiv und haben ein Alter erreicht, das die Medizin als meno- bzw. postmenopausal bezeichnet. – Was berichten diese Frauen über eine Lebensphase, in der sie und ihre Infektion "in die Jahre gekommen" sind?

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Junge Frauen profitieren von der Aidshilfe

Junge positive Frauen aus der gesellschaftlichen Mitte finden nicht von alleine zu Aidshilfe. Doch ist der Kontakt erst einmal hergestellt, profitieren sie erheblich. Vor allem, wenn ihre Diagnose frisch ist.

Vier HIV-positive Frauen zwischen 26 und 27 Jahren. Alle vier sind Deutsche ohne Migrationshintergrund, alle leben ohne materielle Sorgen in intaktem familiären und gesellschaftlichen Umfeld. Ida, Katarina und Lara arbeiten Vollzeit; Katarina und Ida nach abgeschlossenem Hochschulstudium, Lara nach handwerklicher Lehre. Hanna brach aus Krankheitsgründen eine Ausbildung zur Altenpflegerin ab, möchte aber bald etwas Neues beginnen. – Keine der vier drängte Sozialberatungsbedarf in Aidshilfe, trotzdem dockten sie an. Was haben sie zu sagen?

Die Diagnose schockt und beschädigt das Selbstwertgefühl
Wobei die Vorstellung, bald zu sterben, nicht die erste einer Flut von Assoziationen ist, die durch das positive Testergebnis losgetreten wird. Dass HIV heute behandelt werden kann, ist meist bekannt. "Trotzdem ist mir alles aus dem Gesicht gefallen", berichtet Lara. "Ich dachte, die Leute hätten jetzt Angst vor mir." Der Mutter, die zu ihr ins Krankenhaus eilt, verweigert sie die Umarmung. – Hanna, drastisch: "Ich habe mich gefühlt wie ein Monster. Da ist etwas in meinem Körper, das andere gefährdet. Ich habe wochenlang dreimal täglich geduscht."

Sexuell erworbenes HIV macht anfällig für Selbststigmatisierung
Katarina, Lara und vermutlich auch Hanna haben sich bei einem Partner angesteckt. Junge Frauen mögen, was  für Hanna und Lara zutrifft, Sexualität vor der Diagnose lustvoll und vielfältig gelebt haben. Doch im Augenblick des positiven Testergebnisses werden sie oft eingeholt von der scheinheiligen Sexualmoral unserer Gesellschaft. Fühlen sich wie Aussätzige und fantasieren, dass auch andere sie so wahrnehmen. Tritt Stigmatisierung von außen wirklich ein, trifft sie umso härter. Warst du anschaffen? Oder hattest was mit einem Afrikaner? Oder mit Drogen? Solche Fragen werden selten direkt gestellt, doch stehen sie den Leuten ins Gesicht geschrieben. Auch unausgesprochen erzeugen sie Rechtfertigungsdruck. Lara ist froh, sagen zu können, dass sie HIV in einer festen Beziehung mit einem deutschen Mann erworben hat. 

Der direkte Weg in Aidshilfe ist schambesetzt
Das beobachtet Katarina, die auf Seminaren des Bundesverbands einige junge positive Frauen kennengelernt hat. "Es ist quasi ein Schuldeingeständnis", drückt Hanna es aus. "Schließlich gehen auch nur wenige Alkoholiker aus eigenem Antrieb in eine AA-Gruppe." Der Vergleich erschüttert, ist aber nachvollziehbar. Eine junge deutsche Frau aus der gesellschaftlichen Mitte sollte doch bitteschön nichts mit HIV zu tun haben. Denken selbst Mediziner. Hanna und Lara, beide Late Presenterinnen, wurden mit eindeutigen HIV-Symptomen jahrelang von Pontius zu Pilatus geschickt. Erst die Onkologen rieten zum HIV-Test. Gerade noch rechtzeitig, denn beider Laborwerte waren schon bedrohlich. Es bedarf fast einer Erklärung, dass Katarina und Ida Aidshilfe von sich aus aufsuchten. Katarina hatte im Rahmen ihres Studiums die Aidshilfe ihrer Unistadt kennengelernt. Als sie ihr Testergebnis erhielt, war sie froh, zu den Mitarbeiter*innen schon Kontakt zu haben. Und Ida, die als einzige der vier Frauen mit HIV geboren wurde, die nie einen Schock oder eine Selbstwertkrise durchlitten hat, kam nicht als Klientin. Sie wollte sich engagieren. 

Aufsuchende Arbeit in Behandlungszentren ist hilfreich
Vor allem individuelle frauenspezifische Aidshilfe-Beratung in Klinikambulanzen wird den Bedürfnissen junger positiver Frauen gerecht. Laras Ärztin stellte ihrer Patientin gleich zu Behandlungsbeginn eine externe Beraterin der örtlichen Aidshilfe vor. Für die damals sehr geschwächte Lara war es optimal, auf diese Weise "an die Hand genommen" zu werden. "Meine Beraterin kommt auch in Zukunft zu meinen Untersuchungsterminen", freut sie sich.

Auch Selbsthilfe wird angenommen, wenn sie persönlich vermittelt wird
Hierbei erscheinen Angebote an neutralem Ort attraktiver als "männerlastige Regenbogenfrühstücke" in Räumen der Aidshilfe. So begleitete ein Mitarbeiter der Jugendberufshilfe Hanna mit relativ frischem positiven Testergebnis zu den landesweiten Positiventreffen in Hattingen. Als Küken der Gruppe wurde auch sie einfühlsam "ans Händchen genommen". – Katarina nutzt Seminare des Bundesverbands, Ida die westfälischen Ariadne-Treffen. "Man kann dort Angebote wahrnehmen, die einem gut tun", sagt sie. "Ob Frau dabei überhaupt über HIV redet, ist jeder selbst überlassen." Als positive Frau ohne Leidensdruck findet sie das angenehm. 

Aidshilfe informiert. Differenziert und niedrigschwellig
Junge Frauen wissen zu schätzen, dass sie von Aidshilfe detaillierte Informationen zu allen Aspekten des Lebens mit HIV erhalten. Nicht zuletzt zu relevanten Themen ihrer Lebensphase, z. B. hormonelle Verhütung unter HIV-Therapie, Schwangerschaft und Geburt. Es ist oft Aidshilfe, durch die sie von aktuellen Entwicklungen - wie derzeit die Enttabuisierung des Stillens – erfahren. Dabei kommt den Frauen entgegen, dass der Informationszugang niedrigschwellig ist, aber dennoch individuell: "Ich finde es super, dass ich meiner Aidshilfe-Beraterin schnell mal eine Frage aufs Diensthandy schicken kann", sagt Lara. "Meine Ärztin anzurufen – da hätte ich Hemmungen." 

Aidshilfe entstigmatisiert
Die sexualfreundliche Einstellung von Aidshilfe sorgt - bei Frauen wie Männern - für Entlastung von Selbststigma. Keine junge positive Frau, so Katarina, werde dafür gescholten, trotz Kondomspots im Kino und Aufklärung in Schule nicht regelmäßig Kondome verwendet zu haben. Es werde akzeptiert, dass in der Lebenswelt junger Frauen zwar Schwangerschaft präsent ist (die meist hormonell verhütet wird), nicht aber HIV. – Dank Aidshilfe ist es Katarina, Hanna und Lara schnell gelungen, zu ihrem alten Selbstbewusstsein zurückzufinden. Dennoch sind sie, ebenso wie Ida, vorsichtig mit Outings. Für Partnerschaften empfiehlt Hanna offensives Vorgehen. "Ich habe meinen jetzigen Freund einfach mit zum Arzt genommen", erzählt sie. "Der hat ihm erklärt, wie Schutz durch Therapie funktioniert, und alles war gut." Lara half zunächst der entlastende Hinweis ihrer Beraterin, "dass ich von meiner Infektion ja gar nichts sagen muss. Wenn ich erst mal runter bin mit meiner Viruslast." Eine Haltung, die Ärzt*innen zwar befremdet, Aidshilfe aber offensiv vertritt, ohne dabei das strafrechtliche Restrisiko eines solchen Nicht-Outings zu verschweigen.

Lara hat es ihrer neuen Liebe aber sofort gesagt. In einem wachsenden Vertrauensverhältnis wollte sie von vornherein ehrlich sein. Seine Reaktion: "Du bist ein super toller und herzlicher Mensch. Egal, welche Krankheit oder Probleme du hast, ich würde immer zu dir stehen!" – Was für eine schöne Nachricht!

Annette Ritter: “Third life”

“Third life” nennen die Briten das Leben nach Abschluss der Berufstätigkeit. Was möchte ich sagen, bevor ich mein drittes Leben beginne? Nach 30 Jahren Aids-Hilfe, davon fast 20 Jahre Frauenarbeit?

Als ich 1986 als ehrenamtliche Testberaterin in der Aids-Hilfe Münster begann, waren dort HIV-positive Frauen, die nicht der Drogenszene entstammten, absolute Exotinnen. Zu meiner Identifikationsfigur für zukünftige Frauenarbeit wurde dann auch eine charismatische junge Drogengebraucherin, die aufgrund ihrer HIV-Infektion über die Rückkehrhilfe von Amsterdam nach Münster gekommen war. Sie hätte meine Schwester sein können. “Für sie” startete ich eine Wochenendsubstitution in der Aids-Hilfe. - Auch heute beobachte ich, nach jahrelanger Praxisanleitung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen sowie angehender Sozialpädagoginnen, dass ein anfängliches “Glühen” für möglicherweise nur eine Person, eine ganz bestimmte Frau, fast unerlässlich ist für spätere parteiliche Frauenarbeit.

Doch engagierte Einzelfallhilfe ist nicht alles. Sicherlich ist es erstrebenswert, sich eine gute Portion der anfänglichen Empathie zu erhalten. Doch mir erscheint ebenso wichtig, die Bedeutung struktureller Prävention zu erkennen und sich dort einzubringen, fast gleich an welcher Stelle. Strukturelle Prävention - der Begriff jagt einem ja erst einmal Angst ein. Ich selbst brauchte einige Jahre, bis ich begriff, dass die Verbesserung gesellschafts- und gesundheitspolitischer Strukturen und Verhältnisse zwar einerseits Visionen bedarf. Visionen wie die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit HIV an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen. Doch auf der anderen Seite besteht strukturelle Prävention aus kleinen, für jeden machbaren Einzelschritten. Wer die medizinische Versorgung von Menschen mit HIV in ländlichen Regionen verbessern will, fängt am besten mit einer Ist-Beschreibung an, um anschließend einen Bedarf zu formulieren, um diesen dann zu kommunizieren. Das ist alleine nicht zu schaffen, dazu bedarf es einer Vernetzung. Eine solche, die Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und Aids, fand ich bereits vor, als meine Stamm-Aidshilfe 1999 ihre Frauensprechstunde in der HIV-Ambulanz des Uniklinikums Münsters einrichtete. Und hierüber auch einen Zugang zu positiven Frauen aus der Normalbevölkerung fand.

In meinen LAG-Jahren ist einiges erreicht worden. Besonders eindrucksvoll fand ich die Entstehung und Weiterentwicklung von XXelle, zunächst nur Kommunikationskampagne, heute Bezeichnung der gesamten Vernetzung, innerhalb derer Arbeit im Kontext Frauen und HIV/Aids stattfindet. Gleichzeitig deren Logo und Gütesiegel. Auch das ist strukturelle Prävention: Die Kreation eines Mediums, mit dessen Hilfe sich Inhalte ansprechend transportieren lassen. Von der einfachen Botschaft (Kondome schützen! Therapie schützt!) über die gesundheitspolitische Forderung (alle in Deutschland lebenden Menschen mit HIV brauchen Zugang zu gesundheitlicher Optimalversorgung!) bis hin zur komplexen Haltung. Eine solche etwa ist in unserem Schreiben an den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. zu finden, dessen Appell für die Stärkung der Rechte von Menschen in der Sexarbeit wir nachdrücklich unterstützen. Und dieses auch auf unserer XXelle-Internetseite kundtun.

Unverzichtbarer Bestandteil struktureller zielgruppenspezifischer Prävention ist Selbsthilfe. Nun ist es schwierig, diese in Zielgruppen zu etablieren, die so wenig homogen sind wie unsere beiden zentralen Zielgruppen, Frauen mit HIV/Aids sowie Frauen in HIV-relevanten Lebenssituationen. Gruppen, die - anders als ein Gutteil der entsprechenden männlichen Zielgruppen - an keiner Stelle eine Gemeinschaft mit besonderem Kennzeichen bilden: dem Merkmal schwul nämlich, das zwar mit dem Merkmal “HIV-positiv” einhergehen kann, aber oft bereits Identität stiftet und Selbsthilfekräfte weckt, bevor eine HIV-Infektion auftritt. Bei unseren HIV-positiven Klientinnen kommt erschwerend hinzu, dass die Hälfte der in Deutschland lebenden Frauen mit HIV/Aids einen Migrations- oder sogar Fluchthintergrund hat. Selbsthilfe im gesundheitspolitschen Sinn ist meist unbekannt und stößt, da in den Herkunftsländern der Frauen kulturfremd, zunächst einmal auf Misstrauen.

Wir dürfen daher zu Recht stolz darauf sein, dass es uns immer wieder gelingt, Frauen mit HIV zusammenzubringen. Gerade auch Frauen mit Migrationsgeschichte. Im Rahmen unserer Vernetzungstreffen für positive Frauen in NRW, aber auch von zeitlich begrenzten Projekten wie z. B. die Bochumer Veranstaltungsreihe “Komm in Bewegung”, tauschen unsere Klientinnen sich aus und erzählen, wo der Schuh drückt. Einige vernetzen sich weiter und werden gesellschaftlich aktiv. So die Mitglieder von XXelle Plus, dem Arbeitsgremium HIV-positiver Aktivistinnen.

Ariadne, die westfälische Variante der Vernetzungstreffen, hat mir immer besonders am Herzen gelegen. Und auch meine Kolleginnen von XXelle Westfalen laden weiterhin unermüdlich dazu ein, stellen kleine, aber feine Programme zusammen. Mit Geduld und Humor räumen sie Steine fort, die unsere Klientinnen uns hier und da in den Weg legen, lassen sich nicht entmutigen von gelegentlich geringen Teilnehmerinnenzahlen. Beim Herbsttreffen in der AH Ahlen – meinem letzten! – waren wir nur eine Handvoll. Doch es lohnte sich: Ana stieß auf Bintou. Ana ist die einzige “meiner Migrantinnen”, die es in einem Zeitraum von 15 Jahren von der Asylbewerberin zur deutschen Staatsbürgerin geschafft hat. Die nicht in einem Reinigungsjob hängen geblieben ist, sondern als Pflegeassistentin in einem Seniorenheim arbeitet. Bei jedem bundesweiten Treffen für positive Migrantinnen und Migranten ist sie dabei, oft mit einer “neuen” Frau im Schlepptau. - Bintou hingegen kam erst letztes Jahr nach Deutschland. Noch lebt sie in einer Flüchtlingsunterkuft. Aber auch ihr trauen wir zu, ihren Weg in Deutschland zu finden. Sehr bald finden wir die beiden Frauen, ins Gespräch vertieft, in der Sitzecke des Gruppenraums. Etwas kommt gerade in Gang!

Gute zielgruppenspezifische Prävention erfordert Wachsamkeit für Veränderungen. Derzeit werden zwei Zielgruppen der Sekundärprävention häufig erwähnt: Die so genannten jungen Positiven sowie die kürzlich – zum Teil  aus Kriegsländern – geflüchteten Menschen mit HIV, in unserem Fall HIV-positive Flüchtlingsfrauen. Letztere sind uns nicht unbekannt. Wir hatten schon immer Klientinnen mit Fluchtgeschichte. Aber zum einen ist die Zahl der Frauen, die derzeit in HIV-Ambulanzen und Schwerpunktpraxen vorstellig werden, deutlich gestiegen. Zum anderen ist ihre Situation prekärer geworden. Nicht selten bewohnt eine positive Schwangere in einer Flüchtlingsunterkunft mit mehreren anderen Frauen und Kindern ein Achter- oder Zehnerzimmer. Sie erfährt nicht, ob sie nach der Geburt des Kindes weniger beengt wohnen kann. - Wie schon immer brauchen auch die “neuen” Flüchtlingsfrauen kultursensible Einfühlung. Das heißt nicht zuletzt Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber Phänomenen – wie etwa dem der Beschneidung weiblicher Genitalien – die uns Beraterinnen schockieren oder empören. Ferner brauchen sie zupackende Einzelfallhilfe (die schwangere Positive möchte vor allem raus aus dem Zehnerzimmer). Und sie brauchen, mehr denn je, strukturelle Prävention: Können wir die Flüchtlingshilfe gezielt darin unterstützen, weiterer Verschärfung des Asylrechts entgegenzuwirken? Haben wir irgendeine Möglichkeit, die so schleppende Einführung der Gesundheitkarte für Geflüchtete zu beschleunigen? Die, wenn schon nicht die Gesundheitsversorgung an sich, so doch den Zugang dazu erheblich verbessern würde?

Noch ein Wort zu den “jungen Positiven”, von denen jetzt so häufig die Rede ist. Wen rechnen wir eigentlich dazu? Alle in Deutschland lebenden Menschen um die dreißig oder jünger, bei denen irgendwann eine HIV-Infektion festgestellt wurde? Ganz gleich, auf welche Weise erworben? Ganz sicherlich nicht. Junge positive Heterosexuelle mit Fluchtgeschichte sind, so meine Wahrnehmung, nicht gemeint. Wohl aber “Jungschwule”. Oder auch die früheren HIV-positiven Kinder beiderlei Geschlechts, die bislang als Zielgruppe kaum in Erscheinung getreten sind. Wie auch immer, unter den “jungen Positiven” sind einige, darunter selbstverständlich auch Frauen, die, da von Geburt an infiziert, mit der Infektion selbstverständlicher aufgewachsen sind als andere. Deren Selbstwert durch HIV keinerlei Schaden genommen hat, was ich sonst gerade bei Frauen nie erlebt habe. Die in geordneten Verhältnissen aufgewachsen sind, studiert haben und jetzt ins Berufsleben einsteigen. Die nichtsdestoweniger die Innensicht von Menschen mit HIV haben und die, selbstbewusst und formal gut gebildet, prädestiniert sein könnten für strukturelle Prävention. Ich glaube nicht, dass sie Aidshilfe “brauchen” wie andere Zielgruppen. Aber Aidshilfe sollte mit ihnen ins Gespräch kommen!

Bleibt mir zu danken für dreißig gute Jahre. Meiner “Stamm”-Aidshilfe Münster, dem Landesverband und allen Kolleginnen aus der LAG. Nicht zuletzt ihrer Koordinatorin, die das Gremium schon so lange professionell begleitet und unterstützt wie ich selbst in der Frauenarbeit tätig bin. Die Rahmenbedingungen meines Arbeitslebens waren gut, sowohl die individuellen als auch die politischen: geprägt von Wohlwollen und Kontinuität, politischer Stabilität, medizinischem Fortschritt und einem Zuwachs an gesellschaftlicher Akzeptanz von HIV. Doch steht zu erwarten, dass - nach der Präsidentenwahl in den USA und bei global wachsenden politischen Erfolgen von Populisten - die Bedingungen für HIV/Aidsarbeit auch in Deutschland schwieriger werden. Ich werde dieser Arbeit nicht gänzlich den Rücken kehren!

Kelly Cavalcanti: "Wir sind positiv und nun? 20 Jahre - Mein Leben mit HIV"

Endlich war es soweit: Am 12. Juni 2016 zeigte Kelly im Naturfreundehaus in Köln-Kalk „ihren“ Film. Genau an diesem Tag vor 20 Jahren – in Brasilien übrigens der Valentinstag – begann für Kelly eine neue Zeitrechnung. Denn am 12. Juni 1996 erfuhr sie, dass sie HIV-positiv ist. Was sich in den Jahren danach abspielte, ist schwerlich in einem Film von circa 40 Minuten Länge aufzufangen. Und schon gar nicht mit einer Frau wie Kelly, die ihr Leben intensiv und kämpferisch lebt.

"Wir sind positiv, na und! 20 Jahre – Mein Leben mit HIV" lautet der Titel dieses Films, der innerhalb der Reihe XXelle Entertainment entstanden und auf xxelle-nrw.de zu sehen ist.

Aber beginnen wir von vorne: Vor gut anderthalb Jahren beschloss Kelly, ihr Leben feiern zu wollen. Das Leben, das sie seit der HIV-Diagnose führte. Denn – und wir können uns alle wohl noch daran erinnern – damals, vor 20 Jahren, wussten die meisten Menschen noch viel zu wenig von der gerade neu zugelassenen Medikamentenkombination, die Menschen mit HIV ein nahezu normales Leben ermöglicht. In Brasilien, wo sie damals lebte, war diese neue Therapie noch annähernd unbekannt. Viele Menschen haben Kelly seitdem begleitet: HIV-positive Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die sich politisch engagieren, schwangere Frauen, Menschen aus ihrer Arbeit, aus dem Kindergartenumfeld ihres Kindes, etc. Meistens vertiefte sich der Kontakt zu diesen Menschen erst, wenn Kelly sich als Frau mit HIV outete. "Es gibt so viele Ängste", sagt sie, "aber auch so viel Unterstützung!" Das kann jedoch nur erleben, wer diese Chance auch nützt und sich öffnet. Für Kelly mit ihrem brasilianischen Temperament und ihrer zugewandten und offenherzigen Art war das fast selbstverständlich. "Ich war nicht alleine in dieser Geschichte" lautete auch ihr Fazit, dem sie in dem Film Ausdruck verleihen wollte. 

Zuerst dachte sie an ein Buch. Aber das verwarf sie rasch, es war ihr zu statisch, zu trocken. Sie beriet sich mit Petra Hielscher von der Aidshilfe NRW und gemeinsam beschlossen sie, einen Film über Kelly als Frau mit HIV zu drehen. "Für XXelle und mich war Kelly ein Geschenk!", so Petra. Es gibt nicht viele Frauen in NRW, die sich wie sie engagieren und dann auch noch bereit sind, sich mit ihrer HIV-Infektion der Öffentlichkeit zu präsentieren. Noch dazu als Migrantin, denn Kelly kam ja erst 2001 nach Deutschland. Gerade für viele HIV-positive Frauen mit Migrationshintergrund ist Kelly daher sehr wichtig. Sie ist eine von ihnen, sie versteht sie, sie weiß, was sie durchmachen.

"Und jetzt gehst du nach Hause und schreibst das auf!", lautete dann auch die Aufforderung von Petra an Kelly. Ein Konzept musste her und Kelly hatte schon eine Art brasilianischer Telenovela vor Augen. Aber das sollte es dann doch nicht sein. Zu diesem Zeitpunkt holte Petra auch die beiden Filmemacher Bärbel Zibold und Martin Schulze ins Boot. Denn sie konnten am besten beurteilen und entscheiden, was in einem Film überhaupt machbar ist und wie.

Kelly begann daraufhin, ihre Freunde in Brasilien und Deutschland zu kontaktieren. Sie sprach auch mit Silke Klumb, der Bundesgeschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe und Prof. Dr. Hella von Unger, damals Mitarbeiterin des Wissenschaftszentrum Berlin, die sie beim Projekt PaKoMi - Partizipation und Kooperation in der HIV-Prävention mit Migrantinnen und Migranten - kennengelernt hatte. Der Film sollte nicht allein die Reaktion ihres persönlichen Umfeldes zeigen, sondern auch den gesellschaftspolitischen Aspekt von HIV widerspiegeln, ihr Engagement gegen Diskriminierung aller Art, gegen Unterdrückung, mit dem sie in Deutschland begann. "Ich kann mit meinem Sohn nicht über Stigma und Diskriminierung sprechen, ohne etwas dagegen zu tun." So arbeitete sie in verschiedenen Projekten für die Deutsche AIDS-Hilfe, für die Aidshilfe NRW, als Aktivistin bei XXelle PLUS und bei Posithiv Handeln mit. Der Unterstützung von Migrantinnen und Migranten galt und gilt dabei ihr Hauptaugenmerk. "In diesem politischen Engagement habe ich so viele nette Menschen getroffen. Wäre ich nicht positiv gewesen, hätte ich diese Menschen nicht kennengelernt. Sie haben mich begleitet, motiviert und gestärkt. Das ist meine Geschichte." All das sollte in ihrem Film zu Wort kommen. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen…

Ihre Freunde in Brasilien bat sie, Briefe zu schreiben und zu schildern, wie sie die Situation damals erlebt hatten, als sie erfuhren, dass Kelly HIV-infiziert ist. Damit hatte sie – wie sie selbst sagt – "eine alte, lange geschlossene Schublade wieder geöffnet." Der so eingeleitete Prozess war für beide Seiten sehr bewegend. Kelly war teilweise überrascht über die Reaktionen. Vielleicht hatte sie die Dimension der Gefühle, die sie vor 20 Jahren bei ihren Freunden ausgelöst hatte, unterschätzt. Hinzu kam, dass die Clique damals kaum die Gelegenheit hatte, sich miteinander darüber auseinanderzusetzen. "Wir dachten, du stirbst!", lautete einer der Sätze, die nach und nach bei ihr eintrafen. Klar. Es war 1996, der Einsatz der Kombinationstherapie lief gerade erst weltweit an. HIV bedeutete eben für viele Menschen noch den Verlust ihrer Lebensperspektive. Deshalb war es wie ein Schock für Kellys Umgebung. Sie ängstigten sich um ihre Freundin und waren zutiefst verunsichert und besorgt von Kellys Nachricht. Das alles kam mit den Fragen zum Film noch einmal deutlich spürbar zum Vorschein. 

Bei der Verwirklichung des Projektes traten aber auch Herausforderungen ganz anderer Art hinzu: Wo soll gedreht werden? Wie können die Briefe in Bilder gefasst werden? Welcher Drehtermin passt für alle Beteiligten? Was aus Kellys Geschichte kann überhaupt gezeigt werden und was davon ist vielleicht auch zu privat für einen Film? Wie kann Privates und Politisches so vereint werden, dass man beiden Seiten gerecht wird? Denn auch die Theorie hinter Kellys Engagement, die Theorie der Unterdrückung, sollte mit einfließen. "Du hast diese Theorie verinnerlicht und im Laufe deines Lebens zu deiner ganz persönlichen Haltung vertieft. Diese Haltung ist heute deine Lebensbasis. Du hast sie schon aus Brasilien mitgebracht. Du lebst diese Haltung, sie ist der Ursprung deines politischen Handelns. Das macht dich zu der Frau, die aus dem Persönlichen etwas Politisches macht" lautete Petras Kommentar dazu. 

Für all diese Aufgaben und Herausforderungen des Films fanden sich im Laufe der Zeit wunderbare Lösungen. Eine Wohngemeinschaft in Köln-Ehrenfeld stellte ihre großzügigen Räumlichkeiten als Drehort zur Verfügung. 

"Und jetzt kommt mein zweites Kind!", schildert Kelly ihre Gefühle beim Abschluss des Filmes und strahlt. Sie hat sich damit einen Herzenswunsch erfüllt. Den Wunsch, ihr Jubiläum, ihre 20 Jahre Leben mit HIV, auch politisch–kreativ zu nutzen. Sie wollte ihren eigenen Jahrestag zum Anlass nehmen, den Menschen mit HIV ihre Erfahrungen aus ihren Jahren mit der Infektion mitzuteilen. Ihnen zu vermitteln, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann, statt Opfer zu sein. Dass man selbst Verantwortung für sich übernehmen muss. Dass man in einer Gemeinschaft viel stärker ist, dies aber nur erreichen kann, wenn man sich öffnet. Und letztlich die ganz essentielle Erfahrung: Man kann mit HIV leben!

So kam es also, dass sich am 12. Juni ungefähr 50 Frauen, Männer und Kinder aus ihrem Freundeskreis, der Nachbarschaft, Kindergarten und Schule, aus dem Umfeld ihrer Arbeit und ihres politisch-sozialen Engagements aus den verschiedensten Regionen der Welt im Naturfreundehaus in Köln trafen, um gemeinsam mit Kelly zu feiern und ihren Film anzusehen. Es war eine schöne und gelöste Sonntagsstimmung, alle waren neugierig und gespannt. "Bestimmte Momente muss man mit seinen Freunden teilen", sagte eine der Frauen, die einen weiten Weg dafür auf sich genommen hatte. 

Nach einer Rede von Petra, die sich bei Kelly mit dem portugiesischen Satz "Eu te agradeço por sua confiança" (auf Deutsch: "Ich danke dir für dein Vertrauen") bedankte, wurden die Vorhänge zugezogen und die Filmpremiere begann. Die Bilder ließen bald alle verstummen und gebannt auf die Szenerie schauen. In manchen Gesichtern zeichneten sich nach einer Weile sogar Tränen ab. Auf einige wirkte der Film wie eine Art Zeitmaschine, mit seinen Fotos und Geschichten aus lange vergangenen Zeiten. Manche begannen sich zu erinnern, andere lernten jetzt erstmals die Kelly von früher kennen. Auch sie selbst hatte feuchte Augen, als sie sich am Ende und nach langem Applaus vor das Publikum stellte und sich bei allen für ihr Kommen bedankte.

Kelly hatte sich im Vorfeld gewünscht, nach der Filmvorführung mit all ihren Gästen gemeinsam feiern zu können. Ihr Leben. Ihren Film. Dank der großzügigen Unterstützung der Aidshilfe Köln, die das Catering gestiftet hat, und einiger Freunde, die mit selbstgemachten Suppen und Kuchen das Buffet ergänzten, wurde ihr Wunsch erfüllt und das Event endete in einem geselligen Beisammensein im Hof des Naturfreundehauses.

"Der Film hat mir Kraft gegeben", lautete eine Rückmeldung, die Kelly im Laufe dieses Nachmittags erhielt. Eine andere Frau von XXelle PLUS fühlte sich durch den Film zu weiterem Engagement animiert, obwohl sie sich bereits zurückgezogen hatte. Das waren erste sehr schöne Reaktionen, denen weitere folgten.

Liebe Kelly, Du hast uns ein großes Geschenk gemacht. Danke für Deine Courage! Und wie viele zum Schluss sagten: Weiter so!

 

Den Film "Wir sind positiv, na und! 20 Jahre – Mein Leben mit HIV" finden Sie unter Videos.

Natalie Rudi: Ohne Leidenschaft stumpft man ab

Natalie Rudi sprüht vor Energie. Man merkt schnell, dass sie mit Herz und Seele dabei ist. Und dass sie schnell einen Zugang zu den Menschen findet. Das liegt wohl nur zum Teil an ihrem sozialpädagogischen Studium. Sie ist einfach offen für Menschen und interessiert an ihren Geschichten und möchte sich gern einsetzen für sie und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

Aber fangen wir vorne an: 2003 kam Natalie zum ersten Mal in Kontakt mit einer Aidshilfe, als sie für ihr Studium der Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Essen einen Praktikumsplatz suchte, den sie bei der Aidshilfe Oberhausen fand. In der Zeit ihres Praktikums durchlief sie alle Bereiche der Aidshilfenarbeit, von der Telefonberatung über Youthwork bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Sie wirkte beim Welt-Aids-Tag mit, beantwortete Fragen an Infoständen und organisierte Gruppenangebote für Klientinnen und Klienten. Das Ende des Praktikums bedeutete für Natalie jedoch nicht das Ende ihres Engagements. Sie war noch lange nicht fertig mit dem Thema, den Menschen und den Aufgaben. Sie schloss eine ehrenamtliche Tätigkeit an, wohlgemerkt neben Studium und Job. Dazu schaufelte sie sich den Freitag frei, der jetzt zu ihrem "Youthwork-Tag" wurde. Nach einem Jahr Ausbildung führte sie als Youthworkerin bei der Aidshilfe selbst Projektwochen durch, ging in Schulen, besuchte Jugendeinrichtungen und bot Einzelberatungen für Jugendliche wie auch Eltern an. Im Grunde machte sie klassische sexualpädagogische Präventionsarbeit. Dabei konzentrierte sie sich in erster Linie auf Mädchen und junge Frauen.

Dem Studium folgte das Berufsanerkennungsjahr, welches sie in einer stationären Psychiatrie in Wesel absolvierte. In dieser Phase hatte sie weder Energie noch Zeit für ehrenamtliches Engagement. Anschließend wurde sie in der stationären Psychiatrie auch übernommen, als aber die Aidshilfe Oberhausen 2006 erneut bei ihr anklopfte und ihr eine hauptamtliche Stelle als Diplom-Sozialpädagogin anbot, zögerte sie nicht lange und griff zu. Ihr neuer Tätigkeitsbereich lag in der psychosozialen Beratung und Begleitung von Menschen mit HIV und Aids. Damals hatte die Aidshilfe nur insgesamt zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen, so dass ihre Arbeit alle Bereiche außer Youthwork umfasste, das von der anderen Mitarbeiterin abgedeckt wurde. Jede Zielgruppe bedürfte ihrer Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass die Frauenarbeit in dieser Zeit manchmal zu kurz kam. Das sollte sich jedoch ändern, denn es gab die Frauen ja, sei es als Frau mit HIV, sei es als Angehörige, als Ehefrau eines Menschen mit HIV. Nur die passenden Angebote waren noch nicht vorhanden.

Natalie begann nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Im Rahmen der Vernetzung mit ihren Kolleginnen aus anderen Aidshilfen traf sie dabei auch auf XXelle Ruhrgebiet. Das begeisterte sie sofort, denn wenn auch einzelne Aidshilfen nicht über genügend Anfragen von Frauen verfügten, so versprach doch ein vernetztes Angebot in der Region besser genutzt zu werden. Endlich gab es auch in Oberhausen für die Frauen eine Möglichkeit zum Austausch, hier konnten sie sich informieren und verschiedene Gesundheitsangebote testen. Die Aidshilfe Oberhausen schloss sich XXelle Ruhrgebiet an und darauffolgend auch der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Frauen und Aids in NRW, XXelle. Damit hatte Natalie die Möglichkeit gewonnen, auch für die Frauen vor Ort etwas anzubieten. So entstanden zum Beispiel Fachseminare oder diverse Vernetzungstreffen für Frauen wie das Frauenfrühstück. Und sie konnte den Frauen Weiterbildungs- und andere Veranstaltungen in der Region empfehlen.

2009 und 2010 war Natalie die Sprecherin der LAG Frauen und Aids in NRW, jetzt LAG Frauen und HIV/Aids. Für diese Umbenennung setzte sie sich ein, denn sie hat in ihrer Beratung viele Frauen, bei denen die Krankheit nicht ausgebrochen ist, für die Aids aber trotzdem ein Thema ist. Auch für sie sollte die LAG eine Anlaufstelle sein, auch sie sollten und sollen sich im Namen wiederfinden können.

Zu Beginn des Jahres 2011 übernahm Natalie die Geschäftsführung der Aidshilfe Oberhausen. Seitdem hat sie sich etwas aus XXelle zurückgezogen, da sie nun verantwortlich ist für die gesamte Beratungsstelle und diese vorrangig koordinieren und auf "stabile Füße" stellen muss. Die Aidshilfe ist die einzige derartige Beratungsstelle in Oberhausen! Ihr Arbeitsalltag sieht dementsprechend voll aus, sie ist Ansprechpartnerin für alle, kümmert sich um alles und weiß manchmal abends nicht, wo ihr der Kopf steht. Das bedeutet Flexibilität und eine große Herausforderung, was sie auch schätzt, denn so gestaltet sich ihr Tag stets abwechslungsreich. Sie weiß nie, was kommt…

Die Position als Geschäftsführerin eröffnet ihr auch neue Möglichkeiten, denn jetzt kann sie strategisch mitgestalten. Trotzdem möchte sie weiter beraten, weiter im Kontakt zu den Menschen bleiben. Die Kombination von Verwaltung auf der einen und Beratungsarbeit auf der anderen Seite ist ihr sehr wichtig.

Natalie Rudi ist in NRW derzeit die einzige weibliche Geschäftsführerin einer Aidshilfe. Nicht nur das, sie hat auch ausschließlich weibliche Angestellte. Was im ersten Moment als Hindernis für die schwulen Männer anmutet, stellte sich mit der Zeit eher als Vorteil heraus. Denn sie begegnen ihr nicht in der Szene. Die Zahl der Ratsuchenden hat sich sogar erhöht, man kann also offenbar Berührungsängste ausschließen.

Natürlich sagt auch Natalie, dass sich die Arbeit mit den Jahren sehr verändert hat. Sie ist deutlich vielschichtiger geworden. Früher ging es mehr um die Beratung über Medikamente, es ging um Therapietreue und durchaus auch 2006 noch um Sterbebegleitung. Es gibt natürlich noch Langzeitpositive, es gibt noch Sterbefälle, auch unter den Frauen. Aber die Medizin hat viel erreicht und auch auf dem sozialrechtlichen Gebiet hat sich vieles zum Guten gewendet.

In der Aidshilfe Oberhausen macht der Frauenanteil derzeit 25 bis 30 Prozent aus, was bundesweit viel ist. Etwa 50 Prozent dieser Frauen haben einen Migrationshintergrund, was vielleicht auch daran liegen mag, dass diese Aidshilfe über ein großes Angebot an Sprachmittlern verfügt. Dadurch und durch die soziale und gesellschaftliche Entwicklung ist die Arbeit komplexer geworden, die Bandbreite der Themen hat zugenommen. Heute muss alles abgedeckt werden, von sexuell übertragbaren Krankheiten über die Sexualität als Ganzes bis hin zu ganzen Lebenswelten. Heute äußern Frauen mit HIV den Wunsch nach einem Kind, was früher noch undenkbar war.

Das bedeutet aber auch, dass man stets die aktuelle Entwicklung für diese Vielfalt an Themen nachhalten muss, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Natalie empfindet die Aidshilfen heute als sehr professionell. Sie sind zu sozialen Dienstleistenden geworden, die viel mehr Bereiche abdecken, die allein mit Ehrenamtlichen nicht mehr zu bedienen sind.

Dieses riesige Pensum kann nur mit Leidenschaft bewältigt werden. Ohne Leidenschaft stumpft man ab. Daher hält Natalie es auch für wichtig, sich stets zu hinterfragen: Bin ich noch dabei? Ja, sie ist es. Immer noch und immer wieder. Und dass es nicht nur ihr so geht, findet sie ganz besonders an Aidshilfen. Denn hier trifft sie auf viele Menschen, die mit Herzblut und Eifer bei der Sache und bei den Menschen sind, die sie beraten und begleiten, die lieben, was sie tun, ohne müde zu werden. Sie erlebt ihre Kolleginnen und Kollegen als sehr unkompliziert im Umgang, alle ziehen am gleichen Strang, arbeiten partizipativ, sind eher praktisch als verkopft, vernetzend statt konkurrierend.

Das gibt ihr die Energie, die wir schon zu Beginn unserer Begegnung spüren konnten.

Indra Mechnich: Zuhören und erfahren ...

Indra Mechnich arbeitet erst seit Anfang 2013 bei der Aidshilfe Bochum. Der Kontakt jedoch entstand bereits in ihrer Schulzeit durch Präventionsworkshops und wurde im Rahmen ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin fortgeführt. Die Workshops richtete damals die Aidshilfe in Hagen aus, wo Indra aufwuchs.

Auch während ihrer Weiterbildung zur Sexualpädagogin beim Institut für Sexualpädagogik blieben sie in Verbindung. Als Indra 2006 für das Institut ein sexualpädagogisches Projekt planen, durchführen und auswerten sollte, fand sie in der Aidshilfe Hagen erneut einen verlässlichen Partner. Gemeinsam entwickelten sie an einer Hagener Schule eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Aufklärung unter dem Titel "sechs mal Sex und mehr".

Andreas Rau von der Aidshilfe Hagen versuchte in der Folgezeit, Indra für eine Beratungsarbeit zu gewinnen und schickte ihr daher kontinuierlich die interessanten Stellenausschreibungen aus Aidshilfen in NRW zu. Eigentlich passte das nicht genau zu Indras beruflichen Plänen, denn sie wollte in der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten. Das änderte sich jedoch im Lauf der Zeit und sie begann sich mehr für die Arbeit mit Erwachsenen, besonders mit weiblichen Erwachsenen zu interessieren. Ende 2012 bewarb sie sich mit Erfolg in der Aidshilfe Bochum auf eine Teilzeitstelle als Koordinatorin der Frauenarbeit.

Diese Position füllt sie nun seit Januar 2013 aus. Ihre Arbeit besteht in erster Linie in der Begleitung und Beratung von Frauen mit HIV/Aids, die in und um Bochum leben. Sie versucht im persönlichen Gespräch herauszufinden, wie sie ihnen zur Seite stehen kann, sei es durch die Organisation von Treffen mit anderen Frauen mit HIV, sei es durch Einholung von Rechtsauskünften, die Vermittlung von Ärzten, etc. So entstanden beispielsweise in Bochum die Frauenabende mit Mitbringbuffet, die sie aufgrund eines Kontaktwunsches einer Frau initiierte und auch heute noch organisiert. Den zweiten Part von Indras alltäglicher Arbeit in Bochum füllt die Organisation von und Teilnahme an regelmäßigen Zusammenkünften wie Teamsitzungen, kommunalen Arbeitskreisen oder dem regionalen Patientenfrühstück aus. Darüber hinaus nimmt sie auch außerordentliche Treffen wie den Internationalen Frauentag oder der Landeshebammenfachtagung wahr, an welchen sie die Frauenarbeit in der Öffentlichkeit für und mit XXelle präsentiert.

Im Laufe ihres ersten Jahres bei der Aidshilfe Bochum verschoben sich auch innerhalb Indras Arbeit die Prioritäten. Während sie zu Beginn den Ehrgeiz hatte, alles genau wissen zu müssen und viel theoretisches Know-how anzusammeln, hat sie in der Zwischenzeit erkannt, dass es in der konkreten Beratungssituation oftmals viel wichtiger ist, aktiv zuzuhören und zu erfahren, was die jeweilige Person braucht, wo und mit welchen Maßnahmen sie konkret unterstützt werden kann. Manchmal braucht es Geduld und einen langen Atem. Aber mit Hilfe eines funktionierenden Kontaktnetzes kann man sich jederzeit bei Kolleginnen oder Kollegen aus den verschiedensten Bereichen genau den Rat holen, den man gerade benötigt. Das ist eine Erfahrung, die sie sehr schätzt und die letztlich auch dazu geführt hat, dass sie sich vermehrt auf die Frauen selbst konzentrieren kann.

Am Ende unseres Gesprächs fragten wir sie, was sie als "typisch" für ihre Arbeit bei der Aidshilfe Bochum bezeichnen würde. Sie nannte schließlich die Komplexität bei der Arbeit mit Frauen. Denn die Frauen, die sie in der Aidshilfe Bochum erlebt, kommen selten mit Anliegen, die nur sie betreffen. Meist steht eine ganze Familie dahinter, die direkt oder indirekt beeinflusst ist und stets in der Beratung mit einbezogen werden muss.

Petra Hielscher im Interview

Seit 1996 arbeitest du im Landesverband Aidshilfe NRW im Fachbereich Frauen und HIV/Aids in NRW. Seit wann gibt es diesen Fachbereich und warum wurde er gegründet?

Den Fachbereich gibt es bereits seit 1995. Nachdem er neun Jahre unter dem Namen „"achbereich Frauen und Aids in NRW" bestand, wurde er 2014 durch den Zusatz "HIV" erweitert. Die Änderung zu "Fachbereich Frauen und HIV/Aids in NRW" erfolgte analog zur Umbenennung der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Frauen. Damit sollte verdeutlicht werden, dass es auch unter Frauen sowohl solche mit HIV als auch solche mit Aids gibt. Beides sollte sich im Namen wiederfinden können. Einen Fachbereich für Frauen einzurichten war damals eine politische Entscheidung. Ein Landesverband muss sich in der Öffentlichkeit klar positionieren. Das tat er, indem er mit dieser Entscheidung Frauen als Zielgruppe sichtbar machte und damit in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückte.

Was hast du 1996 im Fachbereich schon vorgefunden?

Vorgefunden habe ich schon die LAG Frauen als Gremium. Es existierten bereits ein Finanztopf und Mittel zur Zielgruppenspezifischen Prävention (ZSP), aus dem auch Frauenprojekte finanziert wurden. Nicht vorgefunden habe ich einen Platz zum Arbeiten. In den ersten drei Monaten war ich Untermieterin bei einer Kölner Frauen-Organisation in Köln Nippes. Zum fachlichen Austausch fuhr ich dann in die Geschäftsräume der Aidshilfe NRW.

Was gehört zu deinen Aufgaben im Fachbereich und welche Themen müssen von dir bedient werden?

Man kann meine Arbeit eigentlich in drei große Bereiche aufteilen: Einmal gibt es die Arbeit direkt für den Verband, die Aidshilfen und anderen frauenspezifischen Beratungsstellen in NRW. Diese versuche ich fachlich zu unterstützen, versuche Themen übergeordnet zu steuern, Ideen aufzugreifen und Arbeitsansätze zu vertiefen. Auch die finanzielle Förderung für einzelne Projekte wird von mir koordiniert und teilweise sogar angeregt.

Hinzu kommt die Vernetzungsarbeit. So vertrete ich beispielsweise seit 2006 den Landesverband auf Bundesebene in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frauen. Die Aidshilfe NRW hatte ein großes Interesse an einem fachspezifischen Gremium innerhalb des Bundesverbandes. In diesem Forum sind Vertreterinnen und Vertreter des Fachbereichs Frauen der Mitgliedsorganisationen der Deutschen AIDS-Hilfe versammelt.

Ferner koordiniere ich die Treffen der LAG, nehme selbst teil und kann bisweilen durch meinen landesweiten Überblick Diskussionspunkte und Anregungen einbringen, die über die alltäglichen Belange der einzelnen Aidshilfen hinausgehen. Ich versuche Themenkomplexe zu bündeln und unterstütze damit die Einrichtung von kurzfristigen wie regelmäßigen fachspezifischen Arbeitsgruppen.

Zuletzt gibt es den Bereich der Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Dazu gehört auch die Internetseite von XXelle. Die ständige Überarbeitung derselben bedeutet sowohl permanente Aktualisierung als auch die Suche nach geeigneten Themenfeldern. Ich sorge für Frauen- und HIV-spezifische Artikel in der Fachpresse, schreibe auch schon mal auf Anfrage eines Ministeriums eine Fachexpertise und organisiere bei Bedarf LAG-übergreifende Fortbildungen zu speziellen Themenkomplexen.

Kannst du uns einige deiner größeren Aktionen für den Fachbereich Frauen und HIV/Aids in NRW nennen?

Ja, mir fallen auch hier wieder drei gute Beispiele ein. Eine meiner ersten großen Aktionen, auf die ich heute noch sehr stolz bin, war die Bereitstellung eines landesweiten Infopools. Ich trug mit Hilfe der LAG Adressen von sozialen Organisationen in NRW zusammen, bei denen Frauen mit HIV diskriminierungsfrei beraten und betreut werden. Damit wollten wir die Frauen vor Stigma und Diskriminierung schützen. Der Infopool sollte zum einen den Fachmitarbeiterinnen und -mitarbeitern unterschiedlichster Organisationen als Arbeitsinstrument dienen, mit dessen Hilfe sie schnell Adressen und Ansprechpartner ermitteln konnten. Auf diese Weise trägt er auch zur weiteren Vernetzung bei, denn letztlich geht es auch um eine Arbeitsteilung, indem vorhandene fachspezifische Organisationen aufgeführt und damit nutzbar gemacht werden. Für die Frauen im Umfeld von HIV und Aids sollte der Infopool die Angebote in der Region transparenter machen. Sie sollten damit die Möglichkeit bekommen, selbst und angstfrei nach für sie und ihre Bedürfnisse geeigneten Beratungsstellen zu suchen. Das Konzept für dieses Nachschlagewerk entwickelten wir – die LAG und ich - bereits in meinem ersten Jahr. 1997 folgte dann die Veröffentlichung als Broschüre. Zuerst nur in deutscher Sprache, später kamen erst die englische und französische, noch später die russische Sprache hinzu. Schließlich veröffentlichten wir den Infopool im Internet, getrennt nach Orts- oder Sachwortverzeichnis und Literaturverzeichnis. Seit 2006 erscheint er ausschließlich online. Die regelmäßige Aktualisierung der Daten erfolgt weiterhin in enger Zusammenarbeit mit der LAG Frauen.

Als zweites möchte ich gerne die Erfolge in der Vernetzungsarbeit nennen. In meiner Position beim Landesverband koordiniere und bündele ich Informationen. Ich konnte und kann dadurch sehr gut sehen, wo regional übergreifende Angebote oder die Entwicklung gemeinsamer Projekte sinnvoll erscheinen. Daraus entstanden bereits 1997/1998 Arbeitszusammenschlüsse wie die Runden Tische Rheinland, Ruhrgebiet und Westfalen oder Ariadne, das Treffen für Frauen mit HIV in Westfalen. Einmal jährlich veranstalte ich mit jeder Region ein Arbeitstreffen, in welchem wir gemeinsam über die aktuelle Situation sprechen, Problemfelder identifizieren und neue Themen anstoßen. Wir betreiben klassische Arbeitsteilung, indem wir überlegen, was die Region wo zusammen anbieten kann, was praktikabel ist und was in welcher Form eventuell finanziert werden kann. So konnte ich beispielsweise viel zur Entwicklung der Selbstdarstellungsflyer von XXelle Ruhrgebiet und Westfalen beitragen.

Als drittes Beispiel fällt mir die landesweite Öffentlichkeitsaktion zum Internationalen Frauentag 2004 ein. Eine Arbeitsgruppe der LAG entwickelte zusammen mit einer Agentur ein Motiv, das erst einmal keinen direkten Rückschluss auf das Thema Frauen und HIV/Aids herstellte. Mit dem Bild eines stilisierten Frauenkörpers wurden dann sowohl Plakate als auch Post- und Scheckkarten produziert. Diese wurden am besagten Frauentag im März 2004 in zahlreichen Vor-Ort-Aktionen in mehreren Städten NRWs verteilt. Der Clou dieser Kampagne bestand darin, dass wir auf der Rückseite der Karten erstmals in Deutsch, Englisch und Französisch den Hinweis "Haben Sie Fragen zu HIV/Aids?" aufbrachten. Zur Kontaktaufnahme war Platz für einen Stempel der jeweiligen Aidshilfe freigelassen worden. Wir gingen mit dieser Mehrsprachigkeit erstmals aktiv und öffentlich auch auf Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ein. Gleichzeitig machten wir damit auf die regionalen Beratungs- und Kommunikationsangebote aufmerksam. Und das alles zu einer Zeit, in der man Aids und HIV selten mit Frauen in Verbindung brachte.

Wo ist Vernetzung auch mit Organisationen außerhalb der Aidshilfen und der LAG für dich und deine Arbeit wichtig?

Im Grunde ist eine Vernetzung immer wichtig, um unser Thema HIV/Aids und Frauen auch in anderen Organisationen zu platzieren und sich damit auch deren Unterstützung zu sichern. Denn die Aidshilfe kann dieses Feld nicht allein bestellen. Dabei gibt es natürlich Organisationen, die uns thematisch näher liegen. Unterschiedliche Frauenorganisationen haben eben auch unterschiedliche Inhalte. Fachberatungsstellen im Bereich der Sexarbeit fühlen wir uns beispielsweise sehr verbunden. Darüber hinaus gibt es den Fachausschuss Frauen des Paritätischen in NRW, wo vor allem autonome Frauenorganisationen tätig sind. Auch hier nehme ich regelmäßig an den Treffen teil um mein Thema zu positionieren.

Zum Schluss noch eine Frage: Was hältst du für besonders wichtig für deine Arbeit und wofür brennst du?

In erster Linie muss ich aufmerksam sein und gut zuhören können, um herauszufinden, was aktuell zu tun ist und welchen Bedarf es gibt. In einem großen Verbandmuss man immer parteilich agieren und für das Frauenthema sensibilisieren. Mir liegt besonders am Herzen, deutlich zu machen, dass Frauen auch außerhalb der üblichen Rollenzuordnungen wie Mutter oder Partnerin selbstbewusst auftreten sollen, dass auch sie Sex haben und eine wahrzunehmende Zielgruppe von Aidshilfen sind. Sie sollten nicht einfach als Querschnittsthema abgearbeitet werden. Dafür setze ich mich ein.

Elke Schulte: Wenn Ängste abgebaut sind, kann Kommunikation entstehen ...

Elke Schulte ist eine der Frauen, die sich bereits seit vielen Jahren in der Aidshilfe engagieren. Sie kam 1997 in die AIDS-Hilfe Aachen, nachdem ihr eine dort ehrenamtlich tätige Freundin von der freien Stelle berichtet hatte. Ihr beruflicher Hintergrund als Diplom-Sozialarbeiterin und Betreuerin eines Mädchenwohnheimes machten ihr den Einstieg in die Beratung und Begleitung leicht, so dass sie schnell Fuß fasste.

Bis zu Elkes Einstieg war es für Frauen in der AIDS-Hilfe Aachen nicht möglich, von einer Frau beraten zu werden. Es gab einfach keine. Daher wurde eine Stelle im Bereich der psychosozialen Beratung für Frauen geschaffen, welche Elke übernahm. Gleich zu Beginn gründete sie mit einigen wenigen Frauen die positive Frauengruppe AKTHIV, eine zuerst kleine aber sehr engagierte Gruppe von Frauen, die sich einmal monatlich trifft. Es war damals nicht leicht für die Frauen, in einer übersichtlichen Stadt wie Aachen eine Aidshilfe zu betreten. Mittlerweile ist die Zahl der Teilnehmerinnen gewachsen, vorwiegend Frauen aus dem afrikanischen und in den letzten Jahren aus dem osteuropäischen Raum erweitern und bereichern heute den Themen- und Aktionskreis. Sie werden meist von Schwerpunktpraxen oder dem Sozialdienst der Kliniken vermittelt, oft mit einer frischen Diagnose und hoch verstört darüber. Hier werden sie erst einmal aufgefangen. In der Gruppe besprechen sie Themen, die sie gerade beschäftigen, seien es die Kinder, die Partner, die Vermieter, das Jobcenter, das Auslandsamt, etc. Elke unterstützt die Frauen bei Anträgen, Ämtergängen und sorgt für Soforthilfen, wenn das Geld mal knapp wird. Besonderen Wert legt sie darauf, die Frauen stets über aktuelle Entwicklungen in der Pharmaforschung zu informieren. Gerade den "Late presentern" versucht sie die Dringlichkeit der Einhaltung von Therapievorgaben zu vermitteln. Einmal im Jahr planen alle gemeinsam eine Tagesexkursion in die Umgebung, einfach um einmal abschalten und Luft schöpfen zu können.

Neben der psychosozialen Beratung und ihrer Mitarbeit in der Onlineberatung „aidshilfe-beratung.de“ der Deutschen AIDS-Hilfe ist Elke in der Prävention tätig. Sie besucht mit ihren Kolleginnen und Kollegen Schulen jeder Art, seien es Berufsschulen oder Gymnasien. Dabei stehen die Jugendlichen im Vordergrund, aber es werden auch Informationsveranstaltungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie die Lehrerschaft oder das Krankenhauspersonal angeboten.

Elke beschreibt ihre Arbeit als sehr abwechslungsreich. Ihr ist es wichtig, die Auseinandersetzung mit dem Thema HIV und Aids zu fördern, mit der eigenen Lebensperspektive, dem gesellschaftlichen Stigma und dem Umgang damit. Gern unterstützt sie die Frauen dabei, offen mit ihrer HIV-Infektion umzugehen. Das würde nicht nur den Frauen selbst helfen, sondern auch in der Gesellschaft den Abbau von Vorurteilen fördern. Sie möchte die Frauen stärken, indem sie ihnen Kontaktmöglichkeiten untereinander anbietet oder auf Veranstaltungen hinweist, wo sie auf andere Frauen mit HIV treffen können. Durch die gemeinsamen Gespräche möchte Elke ihnen mehr Selbstbewusstsein für ihren Weg mit Ämtern oder der Ärzteschaft vermitteln.

Heute kann Elke im Gegensatz zu früher den Frauen mit HIV eine Perspektive aufzeigen. Denn heute ist es möglich, mit HIV und Aids zu leben. Es hat sich so viel geändert in ihren Jahren in der AIDS-Hilfe Aachen. Die Medikamente sind heute viel einfacher einzunehmen, es braucht nicht mehr einen ganzen Cocktail, um die Viruslast niedrig zu halten. Sex ohne Kondom ist heute unter bestimmten Bedingungen genauso möglich wie eine natürliche Geburt. Noch vor einigen Jahren lehnten Ärzte Schwangerschaften von Frauen mit HIV vor und zu Beginn der Kombitherapie, die es seit 1997 in Deutschland gibt, grundsätzlich ab und Abtreibungen wurden ihnen nahezu aufgedrängt, die Sterilisation dringend empfohlen. Das ist heute unrühmliche Vergangenheit.

Heute ist es möglich, dass die Menschen mit HIV offener und auch ein Stück weit selbstbewusster miteinander und mit Menschen ohne HIV kommunizieren. HIV und Aids können heute dank dieser neuen medizinischen Erkenntnisse als chronische Krankheit eingestuft werden. Erst wenn die Gesellschaft dies nicht nur erkannt, sondern auch verinnerlicht hat, wenn Ängste abgebaut sind, kann eine Kommunikation entstehen, die sich auf Lösungen konzentriert und nicht mehr mit Schuldzuweisungen aufhält. Diesen Fortschritt wünscht sich Elke sehr.

Heute wagen mehr Frauen, darunter auch viele Migrantinnen, den Weg in die Aidshilfen, um sich auszutauschen, zu informieren und sich zu engagieren. Auch das ist eine positive Wendung.

Die Arbeit in einer Aidshilfe ist für Elke charakterisiert durch einen respektvollen und offenen Umgang miteinander und mit den Menschen, die sie besuchen. Niemand wird zu etwas gedrängt, jeder darf sich in dem Rahmen bewegen, der ihm selbst möglich erscheint. Es werden lediglich Einladungen ausgesprochen. Auch der intensive Austausch untereinander und der oft energische Einsatz für die Menschen bei Ämtern oder anderen öffentlichen Stellen prägt die Arbeit der Aidshilfen und macht sie so zu dem Ort, an dem sie auch in Zukunft gerne wirken möchte.

Heidi Eichenbrenner: Eine Frau der ersten Stunde

Heidi Eichenbrenner hat einen Schlussstrich gezogen. Nach 25 Jahren in der Aidshilfearbeit und zuvor über zehn Jahren in der Drogenberatung, nach Neuanfang durch Umzug von Berlin nach Köln und der Erziehung zweier inzwischen erwachsen gewordener Kinder ist sie neugierig geblieben auf das, was das Leben für sie noch bereithält und wo es sie hinführen mag. Daher hat sie ihre berufliche Laufbahn in der Aidshilfe Köln 2014 beendet, den Kontakt wird sie aber nicht abreißen lassen und sich nun ehrenamtlich im Beirat engagieren.

Angefangen hatte alles 1988 mit einem Praktikum in der Aidshilfe Köln im Rahmen ihrer sozialtherapeutischen Ausbildung. Mitte der Achtzigerjahre erkrankten immer mehr Menschen in Deutschland an Aids. Dies löste Angst und Unsicherheit aus, aber auch Diskriminierung und Stigma. Heidi war damals bereits Mutter von zwei Kindern und versuchte auf diese Weise, sich bestmöglich zu informieren und ein eigenes Bild über die neue Krankheit zu machen. Ihr beruflicher Hintergrund unter anderem als diplomierte Pädagogin und Beraterin im Kontext von Drogenhilfe und Frauenarbeit erleichterte ihr den Zugang zu den Menschen, zu HIV und Aids, zu Prävention und Begleitung. Nach ihrem Praktikum stellte die Aidshilfe Köln sie als hauptamtliche Mitarbeiterin ein.

Prävention und Aufklärung von Jugendlichen standen in den ersten Jahren im Vordergrund ihrer Arbeit. Heidi holte die jungen Leute direkt in die Aidshilfe, was damals sicher nicht leicht war. Es ging darum, Ängste und Barrieren abzubauen und im Wortsinn hautnah über Ansteckungsgefahren und Präventionsmaßnahmen zu informieren. Was passiert, wenn man eine Türklinke in einer Aidshilfe anfasst, wenn man dort eine Toilette aufsuchen muss? Gemeinsam fanden sie Antworten, um ungezwungen mit dem Thema und miteinander umgehen zu können.

Fast zeitgleich übernahm Heidi die Frauenarbeit in der Aidshilfe. In Zusammenarbeit mit einigen Studentinnen und Frauen mit HIV organisierte sie damals erste Aufklärungsveranstaltungen. Mit der Zeit gründete sich eine eigene Gruppe von HIV-positiven Frauen, die Heidi mehrere Jahre hindurch begleitete. Hinzu kamen die Organisation des „Frauentelefons“, der Kinderbetreuungsangebote sowie die Koordination der ersten landesweiten Veranstaltung zum Thema Frauen und Aids Ende der Neunzigerjahre. Was damals der erste Schritt zur landesweiten Vernetzung war, ist heute unter XXelle bekannt.

Als der Bedarf an frauenspezifischen Angeboten innerhalb der Aidshilfen deutlich anstieg, schuf die Aidshilfe Köln eine neue hauptamtliche Projektstelle. Heidi verantwortete jetzt die Steuerung des Frauen- und Familienzentrums und war in diesem Zusammenhang auch für dessen finanzielle Absicherung zuständig.

1994 übernahm sie die fachliche Leitung für die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Aidshilfe Köln. Sie wirkte in dieser Position an der regionalen und überregionalen Vernetzung mit und verantwortete die Konzipierung wie Durchführung der HIV-Aufklärung für Jugendliche wie auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Daneben koordinierte sie die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising und war zuständig für vereinsinterne Publikationen sowie die bundesweit vertriebene MED-INFO-Broschüre.

1996 wurde sie stellvertretende Geschäftsführerin der Aidshilfe Köln, was neben repräsentativen Aufgaben auch weitere Zuständigkeitsbereiche wie die Weiterentwicklung der Organisation, die Akquise von Projektförderungen oder die Öffentlichkeitsarbeit auch für die Zielgruppe der erwerbslosen Menschen mit HIV mit sich brachte. Sie war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und nachhaltigen Sicherstellung von Qualifizierungs- und Arbeitsangeboten wie etwa HIVissimo, dem Mittagstisch der Aidshilfe Köln, oder der Zweiradwerkstatt 180°. Auch Repräsentations- und Verhandlungsaufgaben mit Kooperationspartnern und Geldgebern nahm sie gerne wahr.

Im Laufe ihrer Jahre bei der Aidshilfe hat sich vieles verändert. Die Begleitung sterbender Menschen ist in den Hintergrund getreten. Die Medizin hat riesige Fortschritte gemacht, was wiederum nachhaltige Auswirkungen auf die Beratungs- und Präventionsarbeit hatte. Niedrigschwellige Angebote und die Bereitstellung von Informationen hält Heidi nach wie vor essentiell, heute jedoch steht im Gegensatz zu früher viel mehr die Eigenverantwortung im Fokus. „Je mehr Informationen verfügbar sind, desto besser sind die Entscheidungsmöglichkeiten und desto differenzierter die Handlungsoptionen“, erklärt sie.

Was sich leider nicht so geändert hat wie ursprünglich erwartet sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Auch heute noch fürchten Menschen mit einer sexuell übertragbaren Infektionskrankheit Diskriminierung und Stigmatisierung. Viel zu oft noch werden schwuler Sex, Drogengebrauch und Promiskuität als schuldhafte Ursache angesehen. Dem versuchte Heidi stets vehement entgegen zu treten. Gesellschaftliche Akzeptanz und eine Haltung, die klar macht, dass Sexualität, egal wie man sie gestaltet, zum Wohlbefinden der Menschen dazu gehört, dafür hat sich Heidi immer eingesetzt. Und sie tut es heute noch.

Die Aidshilfe als Organisation beschreibt Heidi als einen sehr eigenen, sinnlichen, kreativen, sympathischen, anregenden, aber auch sehr professionellen Kosmos, in dem Solidarität und Kampfgeist einen großen Stellenwert haben. Die partizipative, das heißt alle Beteiligte einbeziehende, wie bedarfsorientierte Arbeitsweise fand sie stets bemerkenswert und hat sie stets motiviert.

In den zurückliegenden 25 Jahren bei der Aidshilfe hat sie viel über sich und andere gelernt und zahlreiche Kontakte geknüpft und vertieft. Sie fühlt sich nach wie vor mit den Menschen aus dem Umfeld der Aidshilfen verbunden und möchte sie nicht mehr missen.

Und sie hat "geweint, sich geärgert aber noch mehr gelacht ...".

Julia Ellen Schmalz: "Immer Kontakt auf Augenhöhe ..."

1993 begann Julia, neben ihrem Studium der Psychologie, mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei der AIDS-Hilfe Bielefeld. Ihr Arbeitsbereich umfasste die Betreuung, die Lebens- und vielfach vor allem die Sterbebegleitung. Was sich schwer anhört, war für Julia genau das Richtige. Sie blieb und entdeckte mit den Jahren den Frauenbereich für sich. Auf diversen Frauentreffen, seien sie regional, landes- oder bundesweit, machte sie mehr und mehr die Erfahrung, dass Frauen die Krankheit anders erleben, dass Frauen andere Herangehensweisen und mit ganz anderen Stigmatisierungen zu kämpfen haben. So stellte sich für sie sehr früh heraus, dass Akzeptanz und Enttabuisierung immens wichtige Ziele ihrer Arbeit darstellten. Es ging ihr nicht nur um die reine Versorgung und Unterstützung, sie wollte in der Gesellschaft etwas bewegen.

1997 erhielt Julia ihre Festanstellung in der AIDS-Hilfe Bielefeld. Ihre Diplom-Arbeit hatte sie über HIV-positive Frauen geschrieben, die eben nicht aus Drogen- oder Prostitutionszusammenhängen kamen. Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, fast unbekannt, aber vorhanden. Sie hatte damals den Eindruck, dass diese Gruppe kaum wahrgenommen wurde. Die Stigmatisierungserfahrungen und -ängste dieser Frauen waren mit denen der bisher im Fokus stehenden weiblichen Gruppierungen kaum vergleichbar.

Julias Arbeitsstunden waren in der AIDS-Hilfe Bielefeld klar strukturiert, sie bekleidete zu Beginn eine Youthwork-Stelle mit einem Anteil Frauenarbeit. Morgens ging sie in die Schulklassen, betrieb Primärprävention, schulte Lehrer wie Jugendliche, machte Anti-Diskriminierungsarbeit, betrieb Aufklärung und versuchte die jungen Menschen auf ihrem Weg zu einer selbstbestimmten Sexualität zu unterstützen. Sie sprach damals schon über lesbisch-schwulen Sex, was nicht allzu verbreitet war.

Nachmittags arbeitete sie in der Beratung. Frauen wurden zuerst zu ihr geschickt. Als sie erste Vernetzungstreffen besuchte, spürte sie, wie wohltuend und erleichternd es sein kann, sich mit Kolleginnen in ähnlichen Situationen fachlich austauschen zu können. Denn auch wenn Julia sich innerhalb der Aidshilfe gut beraten konnte, so fühlte sie sich in bestimmten frauenspezifischen Angelegenheiten manchmal doch isoliert. Hinzu kam, dass einige regional sehr begrenzte Angebote in einem größeren Radius von Frauen besser angenommen wurden. So kam es zur Entstehung des Runden Tisches Westfalen und der ARIADNE-Treffen. Julia wurde Gründungsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und Aids in NRW und war aktiv an der Vernetzung XXelle Westfalen beteiligt. Vernetzung und Lobbyarbeit wurden wichtige Pfeiler ihrer Arbeit. Ihr Ziel war es stets, die Lebensbedingungen der Menschen mit HIV zu verbessern, Akzeptanz zu schaffen und Stigmatisierung abzubauen.

Bundesweit politisch engagiert war Julia bis Anfang 2000 in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder im Umfeld von HIV und Aids, ab 2000 konzentrierte sie sich jedoch mehr auf die landesweite Arbeit bei XXelle. Mit 30 Jahren wurde sie für zwei Legislaturperioden in den Vorstand der Aidshilfe NRW gewählt. In den zwei Jahrzehnten ihrer Mitarbeit hat Julia viele Veränderungen erlebt. Sterbebegleitung ist glücklicherweise in den Hintergrund getreten und wurde von der Lebensbegleitung abgelöst. Vieles, für das sie zu Anfang noch kämpfen musste, ist heute etabliert und selbstverständlich geworden. Ein kompaktes Wissen um HIV und Aids hat eine damals noch weit verbreitete Ahnungslosigkeit ersetzt. Die Isolation der Menschen mit HIV war vor einigen Jahren noch erheblich stärker und bedrohlicher. Heute wiederum sind zunehmend die Frauen mit Migrationshintergrund der Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus ausgesetzt. Sie erleben wieder Arten der Tabuisierung, die sehr an die 90er Jahre erinnern.

Was Julia an der Arbeit in einer Aidshilfe immer schätzte, war zum einen der Kontakt auf Augenhöhe. Alle saßen und sitzen gemeinsam an einem Tisch, alle versuchen gemeinsam Lösungen zu finden. Die Menschen, die eine Aidshilfe aufsuchen, werden nicht auf den Virus und ihre Klientinnen- und Klientenrolle reduziert. Das war ihr wichtig. Es sind Werte, deren Erhalt sie nun gerne in die Hände der kommenden Generation legen möchte.

Zum anderen empfand sie den kollegialen Zusammenhalt stets als herausragende Stärke. Ob in guten oder schlechten Zeiten, auf regionaler, Landes- oder Bundesebene, alle zogen am selben Strang, alle wollten in die gleiche Richtung. Das gab ihr stets Kraft und Antrieb.

Auf Anregung der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und HIV/Aids in NRW wurde Julia Ellen Schmalz am 19. Oktober 2013 von der Mitgliederversammlung in Wuppertal zum Ehrenmitglied der Aidshilfe NRW ernannt.

Cori Obst: "Es gibt noch immer die berechtigte Angst, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden, wenn man seine Infektion öffentlich macht."

Cori Obst, besser bekannt unter dem Namen Cori Tigges, engagiert sich seit 1991 in verschiedenen Bereichen der Aidshilfearbeit. Ein besonderes Anliegen war ihr das Thema Frauen und Aids. Als Mitglied im Landesvorstand der Aidshilfe NRW hat sie die Frauenarbeit des Landesverbands maßgeblich angestoßen und gestaltet. Darüber hinaus war sie Mitinitiatorin vieler Frauenreferate und –netzwerke auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.

Als eine der ersten Frauen in Deutschland machte sie ihr HIV-positives Testergebnis bekannt. Sehr nachdrücklich setzte sie sich dafür ein, dass die unterschiedlichen Lebensziele und –situationen von Frauen in der Gesundheitsförderung Beachtung finden. Sie forderte den Ausbau der frauenspezifischen Forschung im Bereich HIV und Aids. Insbesondere kämpfte Sie für die freie Entscheidung von positiven Frauen für oder gegen eine Schwangerschaft. Cori Obst hat immer wieder die politische Dimension von HIV und Aids verdeutlicht. Sie hat positiven und aidskranken Frauen ein Gesicht in der Öffentlichkeit gegeben und ihren Bedürfnissen und Rechten damit Gehör verschafft. Für ihr Engagement wurde ihr 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.


Interview mit Cori Obst anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 2009


Du hast im Mai das Bundesverdienstkreuz erhalten. Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie es war, als Du von der Auszeichnung erfahren hast?

Ich war damals krank und lag mit einer Grippe im Bett. Da es mir an diesem Tag nicht so gut ging, war es Zufall, dass ich überhaupt ans Telefon gegangen bin. Am Ende der Telefonleitung war die Stadt Wuppertal. Ich dachte sofort: Das ist das Ordnungsamt und was hast Du nun wieder angestellt.

Heißt das, du hast erst einmal einen Schreck bekommen?

Ich muss zugeben, ich war zuerst einmal fassungslos, als ich hörte, dass ich das Bundesverdienstkreuz erhalten soll. Die Mitarbeiterin der Stadtverwaltung hat mir dann erklärt, dass ich mir in aller Ruhe überlegen könne, ob ich die Ehrung annehmen möchte.

Hast Du wirklich überlegt, annehmen oder nicht?

Ja. Es war für mich wichtig, intellektuell zu klären, ob ich das annehmen kann. Ich habe das unter anderem mit Dirk Meyer und Beate Jagla von der Aidshilfe NRW und Michael Jähme von der Wuppertaler Aidshilfe diskutiert. Letztendlich verstehe ich das Bundesverdienstkreuz als Auszeichnung für die Sekundärprävention im Bereich Frauen und Aids. Ich habe die Auszeichnung auch dafür bekommen, dass ich kämpferisch und unbequem war.

Was bedeutet die Auszeichnung für Dich?

Zuerst wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Aber nachdem mir bewusst wurde, wofür ich die Ehrung erhalte, habe ich mich sehr gefreut! Ich muss auch sagen, dass die Ehrung für mich ein Schritt war, meine persönliche Integrität wiederherzustellen. Es ging mir in den letzten Jahren nicht besonders gut und ich hatte mehrere stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie. Es gab durchaus Leute, die gesagt haben: Ich wusste ja schon immer, dass sie verrückt ist. Ich bin ja im Laufe der Zeit mit vielen meiner Ansichten gegen den Strom geschwommen und oft angeeckt.

Wie war die Reaktion Deiner Umwelt?

Viele haben sich mit mir und für mich gefreut. Aber es gab natürlich auch den Neid-Faktor oder den Vorwurf, ich lasse mich vom Staat korrumpieren.

Was möchtest Du diesen Menschen sagen?

Gar nichts. Ich bin stolz auf die Auszeichnung und sehe das Bundesverdienstkreuz als Chance, auf Dinge aufmerksam zu machen, die verändert werden müssen, so wie ich das auch in der Vergangenheit getan habe.

Du hast sehr viele Debatten geführt im Laufe deines Lebens. Welches war die Wichtigste?

Die Kontroverseste und vielleicht auch Wichtigste war sicherlich die Debatte um das Thema Schwangerschaft Mitte der 90iger Jahre. Es ging um das Recht von HIV-positiven Frauen, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Es ging damals um die Fragen, wer hat das Recht, Kinder zu bekommen und wer nicht? Was ist verantwortlich, was nicht? Ich habe mich für das Recht der freien Entscheidung eingesetzt und dafür, dass positive Frauen das Recht auf eine Schwangerschaft, auf ein Kind haben. Das ist bis heute meine Meinung, und das unabhängig vom Übertragungsrisiko.

Von Dir stammt auch das Zitat, dass Du Dir eine Gesellschaft wünschst, in der Menschen mit HIV und Aids offen mir ihrer HIV-Infektion leben oder umgehen können.

Das war ein Aspekt, den ich auch in meiner Rede bei der Verleihung betont habe. Es gibt noch immer die berechtigte Angst, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden, wenn man seine Infektion veröffentlicht. Ein weiterer Punkt ist: Mit den verbesserten medizinischen Therapien verbessert sich auch die gesundheitliche Situation. Die Folge ist, dass es heute deutlich schwieriger ist, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu bekommen. Das wäre ja gar nicht so schlimm, weil die meisten Menschen sehr gerne arbeiten. Aber versuch mal, als Positiver einen Arbeitsplatz zu bekommen.

Sind die medizinischen Therapien nicht eine ungeheure Chance?

Natürlich ist der medizinische Fortschritt gut. Der Fortschritt hat uns eine ganz neue Lebensperspektive eröffnet. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass sich sehr schnell alles darum dreht, die Viruslast unter die Nachweisgrenze zu bringen. Ich nenne das die Diktatur von HAART. Wenn man seine Medikamente nicht nimmt, ist man gleich ein Therapieverweigerer. Ich möchte mich für oder gegen eine Therapie frei entscheiden können, ohne dass mir gleich ein Stigma angehängt wird.

Am Anfang hast Du gesagt, Du musst Dir klar darüber werden, wofür die Ehrung gut ist. Zu welchem Schluss bist Du gekommen?

Ich verstehe das Bundesverdienstkreuz als Aufforderung zum Handeln. Ich möchte meine Ressourcen aktivieren und mich wieder in den Dienst der Sache stellen. Ein großes Thema der Zukunft im HIV-Bereich sehe ich z.B. im Bereich der neurologischen und psychiatrischen Spätfolgen. Ich denke, dass es an dieser Stelle einen großen Forschungsbedarf gibt und dass sich auch die medizinischen und psychosozialen Angebotsstrukturen verändern und weiterentwickeln müssen. Und nicht zuletzt möchte ich daran mitwirken, dass sich die Gesellschaft so entwickelt, dass Menschen mit  ihrer HIV-Infektion offen umgehen können, ohne benachteiligt oder diskriminiert zu werden.

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Frauen und HIV Info

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Auf der Internetseite frauenundhiv.info der Deutschen AIDS-Hilfe finden Sie weitere Informationen zum Thema Frauen, HIV und Aids.

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