Bei frauenspezifischer HIV-Forschung ist noch Luft nach oben

Frauen mit HIV unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich biologischer Parameter, wie Stoffwechsel und Immunsystem, von Männern mit HIV, sondern auch in Bezug auf zahlreiche psychosoziale Aspekte. Trotz wissenschaftlicher Hinweise auf diese Unterschiede sind Frauen in den großen Studien zur Einführung neuer HIV-Medikamente und Entwicklung neuer Therapiestrategien meist unterrepräsentiert. Ebenso spielen Frauen auch in den meisten Leitlinien nur als Fußnote oder im Kontext der Besonderheiten im Rahmen einer Schwangerschaft eine Rolle.

Weltweit machen Frauen die Hälfte aller Menschen mit HIV aus und sollten daher auch diesem Anteil entsprechend in Studienkonzepten berücksichtigt werden. Besonders betroffen ist dabei die Gruppe der Frauen im gebärfähigen Alter. Viele der genderspezifischen Unterschiede, sowohl von Seiten der Biologie als auch im Hinblick auf psychosoziale Aspekte, sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht. Auch Leitlinien zu Diagnostik und Therapie der HIV-Erkrankung sollten sich vermehrt mit den spezifischen Besonderheiten der HIV-Erkrankung bei Frauen beschäftigen und diesbezügliche Empfehlungen abgeben.

Frauen werden oft zu spät diagnostiziert, da es andere Indikatorkrankheiten gibt und sie sich selbst häufig nicht des Infektionsrisikos bewusst sind. Des Weiteren sollten, trotz inzwischen sicher deutlicher Fortschritte in den letzten Jahren, weitere Bestrebungen unterstützt werden, die psychosozialen Betreuungsangebote für Frauen von öffentlichen Stellen, Aidshilfen und Stiftungen weiter zu verbessern.

Die PrEP bei Frauen: Eine Pille einmal täglich 

Sie ist in aller Munde: die PrEP oder HIV-Prä-Expositionsprophylaxe. - Hinter dem Zungenbrecher, der selbst Profis auf Fachtagungen ins Stottern bringt, verbirgt sich das Medikament Truvada. Menschen ohne HIV können es vorsorglich einnehmen, um sich beim Sex nicht mit HIV zu infizieren. Ähnlich wie Frauen "die Pille" nehmen, um nicht schwanger zu werden.

Truvada oder Folgepräparate (Generika) enthalten zwei Wirkstoffe, welche die Vermehrung des HI-Virus in den Körperzellen verhindern. Personen, die das Medikament einnehmen, bleiben HIV-negativ, auch wenn sie beim Sex keine Kondome verwenden.

Truvada wird bereits seit Jahren für die Behandlung HIV-infizierter Menschen eingesetzt. Manche Männer, die Sex mit Männern haben, wissen schon seit geraumer Zeit, dass das Präparat auch als HIV-Prophylaxe wirkt. Aber als solche ist Truvada bei uns erst seit Oktober 2016 zugelassen. 

Doch ist die PrEP kein Thema nur für Männer. Denn mittlerweile entfällt ein Drittel der HIV-Neuinfektionen in Europa auf Frauen. "Anlässlich des Internationalen Frauentags betonen wir, dass die PrEP sowohl Frauen als auch Männer zu über 90 Prozent vor einer HIV-Infektion schützt", erklärt Birgit Körbel, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und HIV/Aids in NRW. "Neben Kondom und Femidom - dem Kondom für die Frau - verfügen Frauen nun über eine weitere Methode, sich beim Sex nicht mit HIV zu infizieren." Bei täglicher und kontinuierlicher Einnahme schütze die PrEP vor HIV gleich gut wie Kondome. - Birgit Körbel warnt jedoch vor einer Überbewertung der Frauen-PrEP. Die dünne europäische Datenlage lasse nur eine vorläufige Beurteilung zu.

Für Frauen ist attraktiv, dass sie die PrEP - ähnlich wie die "Pille" - gänzlich selbstbestimmt anwenden können. Nun haben heterosexuelle Frauen in Deutschland ein insgesamt nur geringes HIV-Übertragungsrisiko. Es ist daher nicht angezeigt, ihnen grundsätzlich zu einem Medikament zu raten, das nur als Prophylaxe gedacht ist, aber Nebenwirkungen hat. - Tatsächlich wird die PrEP in Deutschland und Europa lediglich Transfrauen ausdrücklich empfohlen. Ob für Vaginal- oder Analsex, ist unerheblich. Das Medikament schützt bei beiden Praktiken. 

Doch können auch heterosexuelle Frauen Gründe haben, die PrEP in Erwägung zu ziehen. Vielleicht hat eine Frau es satt, das Thema Gummi mit kondomunlustigen Männern zu verhandeln. Vielleicht hat sie einen HIV-positiven Partner, dessen Viruslast nicht unter der Nachweisgrenze liegt und der sie daher infizieren kann. Oder einen Freund, von dem sie vermutet oder weiß, dass er auch mit anderen Frauen ohne Gummi schläft. Vielleicht plant sie Urlaub in einem Land, in dem HIV häufig vorkommt und ist einem Sexabenteuer nicht abgeneigt. Vielleicht wird sie zu Sex gezwungen. Oder hat - freiwillig oder nicht - kondomlosen Sex mit wechselnden Partnern.

In Deutschland wird die PrEP derzeit meist in HIV-Klinikambulanzen und -Schwerpunktpraxen verschrieben. Doch Hausärzt*innen und Gynäkolog*innen sollten bald ins Boot geholt werden. Grundsätzlich kann jede Ärztin und jeder Arzt die Prophylaxe verordnen. - Die Kosten müssen vorerst selbst getragen werden. In ausgewählten Apotheken ist eine Monatspackung für 50 Euro erhältlich.

Menschen, die sich für die PrEP entscheiden, müssen sie nicht lebenslänglich nehmen. Sie können die Einnahme auf Phasen begrenzen, in denen sie häufige Risikokontakte haben. In solchen Lebensphasen jedoch heißt es für Frauen: Eine Pille einmal täglich! Auch wenn sie nicht täglich Sex haben. Vor "PrEP bei Bedarf" - etwa rund um ein Wochenende mit möglichen Sexrisiken - ist Frauen dringend abzuraten. Denn die maximale Medikamentenkonzentration wird im Vaginalgewebe langsamer erreicht als im Rektalgewebe. - Wichtig zu wissen: Ähnlich wie die "Pille" wirkt die PrEP nicht sofort. Erst nach sieben Tagen täglicher Einnahme bietet sie sicheren Schutz. 

Die PrEP dürfen nur HIV-Negative nehmen. Daher muss vor Beginn der Einnahme ein HIV-Test durchgeführt werden. Begleitende ärztliche Untersuchungen sind unerlässlich. PrEP-Nutzer*innen sollten alle drei Monate die Praxis oder Klinik aufsuchen, die das Medikament verordnet hat. Die zuständigen Mediziner*innen führen weiterhin HIV-Tests durch, ebenso Untersuchungen auf andere sexuell übertragbare Infektionen. Denn vor ihnen schützt die PrEP nicht, genauso wenig wie vor Schwangerschaft . Kondome sollten daher nicht aus der Kulturtasche verschwinden. - Auch auf Nebenwirkungen wird untersucht. Truvada wird  meist gut vertragen, schädigt aber gelegentlich die Niere. - Zur Empfängnisverhütung kann eine Frau gleichzeitig die "Pille" nehmen. Während der Schwangerschaft darf  Truvada verordnet werden.

"Wir als Landesarbeitsgemeinschaft möchten möglichst viele Frauen sachlich und kompetent über die verschiedenen Methoden der HIV-Prävention informieren", schließt Birgit Körbel. "Denn Frauen, die nicht wissen, dass sie eine Wahl haben, können auch keine Wahl treffen."
Alle Frauen, die zum Thema Schutz vor HIV das persönliche Gespräch suchen, sind bei den Berater*innen der Aidshilfen herzlich willkommen. 

Wir müssen Frauen mit HIV stärken! Ein Interview mit Dr. Annette Haberll

Dr. med. Annette Haberl, Wissenschaftlerin und seit fast 20 Jahren Ärztin im HIV-Center der Universitätsklinik in Frankfurt am Main, sprach mit der Deutschen AIDS-Hilfe über Geschlechterunterschiede bei Diagnostik, Verlauf und Behandlung der HIV-Infektion.

Frau Dr. Haberl, macht es für Sie als Ärztin einen Unterschied, ob Ihr HIV-positiver Patient männlich oder weiblich ist?

Ja, natürlich ist es ganz wichtig, welches Geschlecht jemand hat. Das ist der größte genetische Unterschied, der vor einem sitzen kann. Es ist in der Medizin ja ein Trend, dass wir immer individueller therapieren und dass genetische Faktoren dabei eine immer größere Rolle spielen. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass der größte genetische Unterschied, den wir beim Menschen haben, nämlich der zwischen Mann und Frau, dann herzlich wenig interessiert. Am Ende soll ja immer die bestmögliche HIV-Therapie stehen. Dabei sind es manchmal gar nicht so die medizinischen Herausforderungen, die eine Rolle spielen. Die HIV-Infektion ist ja tatsächlich bei Männern wie bei Frauen gleich gut behandelbar. Aber die Gruppe der Frauen ist ein bisschen bunter, ein bisschen heterogener und auch ein bisschen anspruchsvoller. Da muss ich gucken, was die Patientin eigentlich für ein Leben führt, was für eine Therapie in dieses Leben reinpasst. Das ist eine Herausforderung, aber es ist durchaus spannender, die Gruppe der Frauen zu behandeln.

Kann die Infektion bei Frauen einen anderen Verlauf nehmen als bei Männern?

Ja, man hat lange sogar gedacht, bei Frauen ist der Verlauf der HIV-Infektion günstiger als bei Männern, weil Frauen gerade in den ersten Jahren der Infektion niedrigere Viruslasten zeigen und von Hause aus höhere CD4-Zell-Werte haben. Das Immunsystem ist also bei Frauen besser als bei Männern, übrigens auch ohne HIV-Infektion. Man hat lange gedacht, dass deshalb auch der Verlauf der Infektion bei Frauen natürlich besser ist. Das Gegenteil ist aber der Fall, zumindest gilt das für die jüngere Frau. Da ist es nämlich so, dass die chronische Aktivierung des Immunsystems, die durch HIV ausgelöst wird, durch weibliche Sexualhormone getriggert wird. Dadurch haben Frauen zwar in den ersten Jahren einen scheinbar günstigeren Verlauf, aber dann kehrt sich das um. Unbehandelt führt dann die HIV-Infektion bei Frauen früher zum Fortschreiten der Erkrankung und damit auch letztendlich, wenn man nicht behandelt, zum Tod. Und es scheint so, dass auch unter Therapie noch Unterschiede bestehen bleiben. Dazu gibt es entsprechende Studien, sodass man das heute zumindest für Frauen vor der Menopause sagen kann. Wie es für Frauen nach den Wechseljahren aussieht, muss noch weiter erforscht werden.

Haben die HIV-Medikamente bei Frauen andere Nebenwirkungen als bei Männern?

Auch da hat man in den letzten Jahren viel dazugelernt. Ich kann mich noch gut erinnern – das ist noch nicht so lange her –, dass man gesagt hat, Frauen haben einfach eine höhere Rate an Nebenwirkungen. Das war bei den ersten Kombinationstherapien auch wohl der Fall. Für die modernen, relativ gut verträglichen Substanzen kann man das heute aber so nicht mehr sagen. Frauen haben einfach ein anderes Nebenwirkungsspektrum. Nehmen wir zum Beispiel die am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen, die den Magen-Darm-Trakt betreffen. Männer haben häufig Durchfall, Frauen neigen zu Übelkeit und Erbrechen. Das mag jetzt für einen Laien nach einem nicht so dramatischen Unterschied klingen, aber mit Durchfällen kann man seinen Alltag in der Regel noch meistern. Wenn einem übel ist und man häufig erbrechen muss, dann kann man gar nichts mehr auf die Reihe kriegen. Frauen sind aber oft in der Situation, dass sie Kinder haben oder sich noch um andere Familienangehörige kümmern müssen. Wenn die Nebenwirkungen der Therapie das verhindern, dann wird die Frau diese Medikamente unter Umständen absetzen. Das heißt, dass bei Frauen Therapieabbrüche, -unterbrechungen oder -umstellungen wegen der unerwünschten Nebenwirkungen häufiger sind.

HIV-Medikamente können Wechselwirkungen verursachen, auch mit hormonellen Verhütungsmitteln. Worauf müssen Frauen in einer antiretroviralen Behandlung bei der Verhütung achten?

Wenn Wechselwirkungen mit HIV-Medikamenten auftreten, kann die Empfängnisverhütung nicht mehr sicher sein. Das gilt zwar nicht für alle Substanzklassen, aber für die altbewährten Klassiker wie die Protease-Inhibitoren und NNRTI. Darauf müssten vor allem die Frauenärzte hinweisen. Deshalb ist es für uns, die wir Frauen mit HIV behandeln, wichtig, dass wir gut vernetzt sind mit den Gynäkologen, damit das Wissen auch weitergetragen wird. Im Übrigen sind die Frauenärzte auch ganz wichtige Partner, wenn es um die Tests geht. Denn zum Gynäkologen gehen Frauen regelmäßig zur Vorsorge, und da gehört das Thema auf den Tisch. Dort muss über Sexualität geredet werden, über mögliche Risikokontakte und über einen HIV-Test. Damit könnte man die Zahl der Spätdiagnosen bei den Frauen verringern.

Was bedeutet eine Spätdiagnose denn für die medizinische Behandlung der Frauen?

Man hat eben eine schlechtere Prognose. Wir sagen immer so schön, dass man mit der HIV-Infektion heute ein ganz normales Leben führen kann. Also, die Infektion ist heute kein Problem mehr, medizinisch kriegen wir das in den Griff. Das stimmt auch erst mal so plakativ. Aber es fehlt der Zusatz: Wenn eine HIV-Infektion früh genug erkannt wird und eine Therapie rechtzeitig auf den Weg kommt. Dann hat man wirklich die besten Voraussetzungen, die beste Prognose im Einzelfall. Wenn HIV sehr spät erst, vielleicht erst durch eine Aids-Erkrankung, diagnostiziert wird und das Immunsystem wirklich nachhaltig geschädigt ist, dann hat man natürlich nicht die gleichen guten Voraussetzungen wie jemand, der leitliniengerecht mit einem CD4-Wert von über 350 in die Therapie geht. Das sind große Unterschiede. Und das macht für die Lebensqualität große Unterschiede. Dabei muss heute keiner mehr wirklich krank werden und erst mit Aidsmanifestationen hier stationär aufgenommen und dann erstdiagnostiziert werden. Das ließe sich vermeiden, wenn der Test auch früh genug angeboten wird.

Warum geschieht das so häufig bei Frauen nicht?

Ich denke, weil an die Möglichkeit einer HIV-Infektion nicht gedacht wird. Das ist für viele weit weg. Oft wird aber auch nicht getestet, weil Indikatorerkrankungen nicht beachtet werden. Wenn zum Beispiel eine junge Frau eine ausgeprägte Gürtelrose hat, dann muss man sich fragen, warum das so ist. Das passiert nicht einfach so. Oder bei einer anderen sexuell übertragbaren Erkrankung muss der Arzt natürlich sofort nachfassen und das ganze Paket an Diagnostik anbieten. Die HIV-Infektion fällt da leider oft hinten runter. Ich hab jetzt gerade eine Patientin neu aufgenommen, die ist eigentlich nur getestet worden, weil bei ihrem Lebenspartner HIV diagnostiziert wurde. Also wäre ihr Partner nicht schwer krank geworden, hätte sie keinen HIV-Test gemacht und wäre sehr bald selbst schwer krank geworden. Diese Frau hat auch überhaupt kein Risikobewusstsein gehabt. Und als ich sie untersucht und ihr in den Mund geschaut habe, hat sie sich entschuldigt, sie sei gerade beim Zahnarzt in Behandlung, das sehe alles noch nicht so toll aus. Sie hatte im Mundraum einen massiven Pilzbefall. Sie war also jede Woche beim Zahnarzt, und da hat niemand mal gefragt, woher das kommt, dass so eine Frau einen solchen Pilzbefall hat. Das ist ja nicht normal, da muss man doch nach der Ursache forschen. Also da werden wirklich Chancen vertan, und das geht zu Lasten dieser Menschen, die nicht getestet sind.

Wenn die HIV-Infektion früh erkannt und gut behandelt wird, haben Menschen mit HIV eine ganz normale Lebenserwartung. Das heißt auch für die Frauen, sie werden ganz normal alt, kommen irgendwann in die Wechseljahre. Welchen Einfluss haben HIV-Medikamente oder die Infektion auf das Klimakterium?

Da gibt es ganz unterschiedliche Untersuchungsergebnisse, aber nach den neuesten Daten aus den USA scheint es sich jetzt zu verfestigen, dass die Menopause einige Jahre früher einsetzt als bei HIV-negativen Frauen. Die Forscher gehen von etwa fünf bis sechs Jahren aus. Die Frage ist, was das für Konsequenzen hat. Zum Beispiel haben HIV-Medikamente einen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel und die Knochendichte, und man weiß jetzt auch, dass es nach der Menopause noch mal einen negativen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel gibt. Osteoporose wird also in Zukunft mehr im Fokus bei den HIV-positiven Frauen stehen. Wir könnten mehr Probleme bekommen mit Knochenbrüchen. Also das Thema Frau mit HIV nach den Wechseljahren, das ist für uns neu, und das Altern mit HIV ist noch nicht gut erforscht. Da kommen neue Herausforderungen, neue Fragestellungen auf uns zu.

Muss also mehr geforscht werden mit dem Fokus auf Frauen?

Ja, frauenspezifische Forschung ist wirklich ein Stiefkind in der Medizin, das gilt nicht nur für den HIV-Bereich. Aber gerade hier würden wir uns mehr Forschungsprojekte wünschen. Die Studien, die wirklich gepowert sind, um frauenspezifische Fragestellungen auch auswerten zu können, das sind Raritäten. Ich würde mir auch wünschen, dass die Community dabei mehr ins Boot kommt. Die Frauen, die mit HIV leben, haben ja Fragen, die oft deckungsgleich mit unserer medizinischen Fragestellung sind. Die sollte man mit einbeziehen, damit die Studien auch durchführbar werden. Da sollten Ärztinnen, Forscherinnen und Patientinnen gemeinsam Konzepte entwickeln. Und natürlich müssen die Forschungsprojekte auch finanziert werden. Da ist noch Luft nach oben, wenn es um frauenspezifische Forschung geht.

In Deutschland leben etwa 80.000 Menschen mit HIV, ungefähr 15.000 von ihnen sind Frauen. Also nur knapp 20 Prozent. Was bedeutet das für die Versorgung durch HIV-Schwerpunktärzte? Sind die ausreichend auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen eingestellt?

Da hat sich in den letzten Jahren viel verbessert, was die Versorgung von Frauen mit HIV angeht. Es gibt einen Fokus bei den Ärztinnen, es gibt einen Fokus bei den Patientinnen, es gibt Frauennetzwerke, die das Thema nach vorne gebracht haben. Das Bewusstsein für die frauenspezifische Versorgung im klinischen Alltag ist geschaffen worden, und ich bin davon überzeugt, dass jetzt auch die männlichen Kollegen einen anderen Blick auf das Thema haben, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Damals hat man gesagt, wenn man gut behandelt, ist es egal, ob das ein Mann oder eine Frau ist, da gelten die gleichen Prinzipien. Aber bei bestimmten Themen ist das dann doch nicht der Fall, und diese Erkenntnis hat sich weitgehend durchgesetzt. In den Schwerpunktpraxen sind es immer noch mehrheitlich Männer, die Menschen mit HIV behandeln, aber es ist nicht so, dass sie für Frauen kein Bewusstsein haben.

Was muss geschehen, um die Situation von Frauen mit HIV weiter zu verbessern?

Es ist ja leider so, dass Frauen mit HIV bei uns nicht wirklich so ein Gewicht haben. Sie kommen in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht vor. Aus guten Gründen, denn wenn ich Mutter bin und eine Familie habe, dann kann ich für mich selber vielleicht diese Entscheidung treffen, ob ich mich oute, aber da hängt ja dann immer noch jemand dran. Die Frauen haben Sorge, dass die Kinder diskriminiert werden oder der Partner diskriminiert wird. Das heißt, Frauen führen mit HIV ein komplettes Doppelleben und tauchen unter. Sie haben keine Lobby, die greifbar ist, keine prominenten Gesichter. Das macht es schwierig für die Gruppe der Frauen, die mit HIV leben, ihre Forderung zum Beispiel nach frauenspezifischer Forschung zu formulieren und durchzusetzen. Ich würde mir da wünschen, dass die Frauennetzwerke, die existieren, noch weiter Zulauf finden und dass es ein Empowerment, eine Stärkung der Frauen mit HIV gibt, damit sie auch ihre Bedürfnisse deutlich formulieren können. Das setzt natürlich auch einen Abbau von Diskriminierung voraus. Die Fortschritte, die wir in der Medizin in den letzten Jahren im Bereich der HIV-Therapie gemacht haben, können die Frauen oft nicht genießen, weil dieses Doppelleben so furchtbar anstrengend ist, weil sie sich niemandem gegenüber outen können aus Angst vor Ausgrenzung. Da wird vieles wieder kaputt gemacht, was die Therapie an Leichtigkeit und Normalität inzwischen bieten könnte. Das ist schade. Wenn die gute Fee käme, würde ich mir wünschen, dass sie die Diskriminierung wegnimmt und sich etwas im Bewusstsein der Gesellschaft verändert. Dann hätten wir wirklich einen Gleichstand mit dem Therapieerfolg und den Wirklichkeiten, in denen die Frauen leben.

magazin.hiv der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.
März 2015

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