Frauen leben mit HIV - in jedem Alter

"Positiv zusammen leben. Aber sicher!" Aber wie lebt es sich "positiv"? Welche Erfahrungen machen Menschen mit HIV in NRW? Wie haben sie ihre Diagnose erlebt? Wie gehen sie mit Ihrer Infektion im Alltag um?

Wir haben diese Fragestellungen zum Anlass genommen, um uns von drei Frauen unterschiedlichen Alters berichten zu lassen. Margarete, die Älteste, wohnt im Raum Xanten und möchte der Krankheit in ihrem Leben nicht mehr Raum als unbedingt nötig überlassen. Stella, gebürtige Griechin Anfang 40, hat einen anderen Weg gewählt. Sie engagiert sich aktiv und lässt andere an ihren Erfahrungen teilhaben. So auch Lisa, die Jüngste, die bereits mit dem Virus geboren wurde. Drei Frauen aus drei Generationen berichten aus ihrem Alltag.

Simone gehört, obwohl sie noch keine 22 Jahre alt ist, bereits zu densogenannten "Langzeitüberlebenden". Ihre speziellen Erfahrungen als HIV-positive Frau haben sie geprägt. Sie hat gelernt, damit klarzukommen und ihren Weg als selbstbewusste junge Frau zu gehen.

Hebammen – ein sicherer Hafen

Internationaler Hebammen-Tag am 5. Mai


Am 5. Mai wird der Internationale Hebammentag begangen. Für HIV-positive Schwangere sind die Hebammen eine wichtige Unterstützung.

Eine Schwangerschaft ist für werdende Eltern eine ganz besondere Phase. Für viele ist sie geprägt von großer Vorfreude, aber auch von Sorgen. Wird mit dem Kind alles gut? Wie richte ich das Zuhause für den neuen kleinen Menschen ein? Hat meine Partnerschaft Bestand? Ist es ein Wunschkind, oder habe ich Zweifel? Bei allen Gedanken, die den werdenden Eltern durch den Kopf gehen, veranstalten die Hormone zusätzlich ihr eigenes Chaos. Abrupte Stimmungswechsel sind an der Tagesordnung. In dieser Situation ist jede Schwangere froh über eine gute Hebamme an ihrer Seite, an die sie sich bei allen Fragen wenden kann, die ihr die Ängste vor der Geburt nimmt und ihr das Gefühl gibt, ein klein wenig besser vorbereitet zu sein auf alles, was da kommt. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um die erste Schwangerschaft handelt.

Und dann gibt es den HIV-Test während der Schwangerschaft, der alles verändern kann. Nämlich dann, wenn auf die vermeintliche Routine-Untersuchung das positive Testergebnis folgt und damit die Welt erst einmal aus den Fugen gerät. Plötzlich sind die Frauen nicht mehr nur schwanger, sondern müssen gleichzeitig auch ihre Diagnose verarbeiten. Was bedeutet das für mein Kind? Wo habe ich mich angesteckt? Wie geht es jetzt weiter? Diese und viele andere Fragen stürzen auf die Schwangere ein. Manche möchten nicht, dass Familie und Freunde von der Diagnose erfahren, sie ziehen sich zurück, bleiben mit ihren Sorgen alleine. Auch heute noch - obwohl es Medikamente gibt, mit denen sich eine HIV-Infektion gut behandeln lässt - ist die Diagnose für viele Menschen ein Schock.

"Gerade in dieser Situation ist eine gute Hebamme noch wichtiger", sagt Andrea Wetzchewald von der AIDS-Hilfe Wuppertal, die schon seit vielen Jahren intensiv mit Hebammen zusammenarbeitet. Eine Hebamme kann Ängste nehmen und aufklären, vor allem in Zusammenarbeit mit Beratungseinrichtungen wie der Aidshilfe. Sie kann für die Schwangere ein sicherer Hafen sein und es ihr ermöglichen, trotz allem ihre Schwangerschaft zu genießen und sich auf ihr Kind zu freuen. "Zum Internationalen Hebammentag am 5. Mai möchten wir die wichtige Arbeit der Hebammen für HIV-positive Schwangere ins Bewusstsein rufen und würdigen", betont Andrea Wetzchewald. Leider ist es inzwischen nicht mehr selbstverständlich, dass jede Schwangere problemlos eine Hebamme findet, die sie vor, während und/oder nach der Geburt - also während des Wochenbetts und der ersten Lebensmonate des Kindes - betreut. Dabei ist das Wissen, das Hebammen weitergeben können, immens wertvoll für die Frauen und ihre Kinder. Sie können dazu beitragen, dass Schwangerschaft und Geburt zu einer schönen Lebenserfahrung werden und der Start in ein Leben mit Kind gut gelingt.

Wird bei den HIV-positiven Schwangeren zum richtigen Zeitpunkt mit einer Therapie begonnen, um die Viruslast zu senken, stehen die Chancen sehr gut, dass das Kind sich nicht während der Schwangerschaft oder Geburt mit dem HI-Virus ansteckt. Kinder HIV-positiver Schwangerer können spontan entbunden werden, ein Kaiserschnitt ist heute bei einer HIV-Infektion nicht mehr zwingende Folge. Allerdings ist noch nicht jede Klinik auf eine natürliche Geburt in Zusammenhang mit HIV vorbereitet. Dazu braucht es ein spezialisiertes Team im Kreißsaal. Und auch schon während der Schwangerschaft sollte eine HIV-positive Schwangere neben einer Hebamme ein Ärzteteam haben, das sie betreut und die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen durchführt.

Die Entscheidung, ob sie stillen möchten, oder nicht, liegt bei den HIV-positiven Müttern. Hebammen, Aidshilfen und Ärzte können sie bei dieser Entscheidung begleiten und bei der Risikoabwägung unterstützen.

Frauen mit Kinderwunsch, die ihre HIV-Diagnose schon vor längerer Zeit erhalten haben, sind meist gut über alles rund um eine Schwangerschaft informiert und mit Medikamenten eingestellt. Sie können oft sowohl eine natürliche Empfängnis als auch eine natürliche Geburt erleben, wenn es keine weiteren gesundheitlichen Probleme gibt.

Um die HIV-positiven Schwangeren bestmöglich betreuen zu können, ist eine fundierte Ausbildung sowie eine stetige Weiterbildung der Hebammen wichtig. "Bei uns an der Hochschule für Gesundheit ist HIV Thema in der Hebammenausbildung – und das sollte es überall sein", sagt Annette Berthold, Lehrkraft für besondere Aufgaben im Studienbereich Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Gesundheit Bochum und selbst Hebamme. Allerdings sei das Wissen um HIV und Schwangerschaft nicht im Curriculum des Landes für die Hebammenausbildung festgeschrieben. "Ich kann allen Kolleginnen die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen und Workshops nur empfehlen", betont Berthold. So sei auch sichergestellt, dass jede Hebamme auf dem neuesten Stand sei beim medizinischen Fortschritt in der HIV-Therapie. Sie selbst betreut drei bis vier HIV-positive Schwangere pro Jahr. In ganz Deutschland gibt es 400 bis 500 Geburten im Jahr, bei denen die Mütter HIV-positiv sind.

Annette Berthold und Andrea Wetzchewald empfehlen Hebammen und Aidshilfen eine enge Zusammenarbeit. Gebe es gute Kontakte, könne schnell die passende Unterstützung für eine HIV-positive Schwangere gefunden werden. Die beiden Frauen sind ein gutes Beispiel dafür, wie der Austausch gelingen kann: Gemeinsam bieten sie Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen für Hebammen rund um den Themenkomplex HIV und Schwangerschaft an. Das nächste Angebot gibt es bei der Landestagung des Landesverbandes der Hebammen NRW am 17. August in Essen.

Älter werden: Mit HIV in die Jahre gekommen

Mit HIV in die Jahre gekommen

Stacy, Silvia, Renée, Victory, Ada und Anke. Fünf Frauen zwischen 44 und 62, fünf individuelle Biografien. Es gibt zwei Verbindungsmerkmale: Alle sind HIV-positiv und haben ein Alter erreicht, das die Medizin als meno- bzw. postmenopausal bezeichnet. – Was berichten diese Frauen über eine Lebensphase, in der sie und ihre Infektion "in die Jahre gekommen" sind?

Den Artikel finden Sie hier.

Schutz durch Therapie: "Eigentlich bin ich eine ganz normale Frau"

Schutz durch Therapie: Eine erfolgreiche HIV-Therapie schützt zuverlässig vor einer sexuellen Übertragung von HIV. Mindestens so zuverlässig wie Kondome. Doch ist diese Botschaft selbst bei manchen HIV-Positiven noch nicht angekommen. – Manuela Brandt, Mitarbeiterin der Aids-Hilfe Westmünsterland, im Gespräch mit ihrer Klientin Carol B. - über ein Stigma, das längst keines mehr sein müsste.

 

Carol, du bist 47 Jahre alt und weißt seit 2002, dass du HIV-positiv bist. 2008 hast du dich scheiden lassen.  Hast du nach der Trennung schon wieder einmal den Wunsch verspürt, dich nach einem neuen Partner umzusehen?

Natürlich. Aber lange Zeit war HIV für mich ein ungeheurer Makel. Ich fühlte mich hässlich und beschmutzt. Ich glaubte, dass ich nie wieder glücklich sein könnte. Dass kein Mann mich je noch sexy finden würde.

Hat sich das irgendwann geändert?

Ja, vor ungefähr zwei Jahren. Meine HIV-Ärztin hat gemerkt, dass ich immer depressiver wurde. Sie wusste, dass das auch mit meinem Alleinsein zu tun hatte und mit meiner Scheu, nach einem neuen Partner zu suchen.

Du hattest wahrscheinlich im Kopf, sobald du ihm sagst, dass du HIV-positiv bist, macht er sich aus dem Staub?

Ja. Und wenn ich es nicht sage, und wir machen es ohne Kondom, stecke ich ihn vielleicht an. - Pause - Es wäre aber sowieso nichts gegangen. Noch nicht mal küssen. Ich war viel zu angespannt. Aber dann sagte meine Ärztin eines Tages, ich hätte durch meine Medikamente sehr gute Laborwerte erreicht. Es wäre völlig unwahrscheinlich, dass ich mit solch guten Werten einen Mann anstecken würde.

Das war also das erste Mal, dass du - zumindest andeutungsweise - etwas vom Thema "Schutz durch Therapie" gehört hast?

Im Grunde schon. Meine Ärztin sagte, sprechen Sie doch mal mit Ihrer Aidshilfe-Beraterin. Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Die Leute in der Aidshilfe haben eine entspannte Einstellung zum Thema Sexualität. – Lacht.-

Nun ging es bei unseren ersten Terminen eigentlich immer nur um finanzielle Unterstützung. Ein Bett, ein Schreibtisch für deinen jüngsten Sohn Ricky…

Klar. Ich musste mich ja auch erst einmal herantasten.

Aber dann lerntest du diesen Mann aus Stuttgart kennen…

Ja, und es wurde dringend. - Ich weiß noch, ich war hier in der Nähe, im Afrikaladen. Und danach bin ich einfach bei dir hereingeschneit.

Daran erinnere ich mich noch gut. Du warst ziemlich nervös. Obwohl du hier schon ein- und ausgingst. Und du sagtest, du hättest jemanden kennengelernt. Da konnte ich mir ungefähr vorstellen, was du auf dem Herzen hattest. - Was genau hast du denn hier erfahren?

Naja, dass es neuere Erkenntnisse gibt. Aus einer großen Partnerstudie. Dass Personen, die erfolgreich ihre HIV-Medikamente einnehmen, ihren Partner beim Sex praktisch nicht infizieren können. Weil überhaupt kein HIV mehr im Blut ist.

Ja, weil HIV im Blut zumindest nicht mehr nachweisbar ist. Ich war mir sicher, dass das auf dich zutraf. Aber ich bat dich, dir das von deiner Ärztin noch einmal bestätigen zu lassen.

Die Ärztin sagte dann, ich bin schon seit Jahren mit meiner Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze. Und ich kann niemanden anstecken. Auch wenn mein Partner kein Kondom benutzt. – Pause - Obwohl, ich würde lieber trotzdem ein Kondom nehmen. Sicher ist sicher.

Um sich vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen, ganz bestimmt. Für den Schutz vor HIV ist es in deiner Situation überflüssig.

Die Ärztin sagte übrigens, dass ich verpflichtet bin, meinen Partner über meine Infektion zu informieren. Auch wenn ich ihn gar nicht anstecken kann.

Es gibt in Deutschland keine gesetzliche Pflicht, Sexpartnerinnen oder –Partner von der HIV-Infektion in Kenntnis zu setzen. Allerdings können Partner von Positiven klagen, wenn ihr Gegenüber sie nicht informiert hat.

Aber werden die Positiven heute nicht freigesprochen?

Viele Richter sprechen mittlerweile frei. Auch in den Gerichtssälen spricht sich das Wissen um die ausgezeichnete Schutzwirkung einer funktionierenden HIV-Therapie herum. Aber verlassen auf einen Freispruch kannst du dich noch nicht.

Muss heftig sein. Eine Gerichtsverhandlung, wo es um so intime Dinge geht. Da lässt man’s doch lieber gleich bleiben. – Seufzt – Obwohl, das stimmt nicht. Ich fühle mich schon ganz anders, seitdem ich weiß, dass ich beim Sex nicht mehr ansteckend bin. Nicht mehr schmutzig. Eigentlich bin ich eine ganz normale Frau. Es ist fast wie ein neues Leben.

Zufällig fand ja in Düsseldorf, kurz nach unserem ersten Gespräch über "Schutz durch Therapie", die Fachtagung "XXelle live" statt. Und du hast dich überzeugen lassen, da hinzugehen.

Ja, diese Tagung war genial. Da wurden Workshops exklusiv für HIV-positive Frauen angeboten. In meinem Workshop waren lauter Frauen, jüngere und ältere, die total offen über alles geredet haben.

Habt ihr auch übers „sich Outen“ gesprochen?

Sicherlich. Mehrere hatten einen Freund, dem sie nie etwas von ihrer Infektion erzählt haben. Und alle fanden das vollkommen in Ordnung.

Gab es auch Frauen, die sich einmal mit HIV geoutet hatten? Und dann verlassen worden waren?

O ja, die gab es. Es ist nur bei einer gut gegangen. Da ist der Freund geblieben. Mit der schreibe ich immer noch WhatsApps.

Also alles in allem hast du auf der Tagung die Ermutigung bekommen, die du brauchtest.

Auf alle Fälle. Lacht – Der nächste Tag war ein Samstag. Da war ich shoppen, in der City. Habe mir eine Hose und zwei Blusen gekauft. Das hatte ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan.

Wie hat sich denn dein neues Lebensgefühl auf die Bekanntschaft mit dem Stuttgart-Mann ausgewirkt?

Erst einmal gut. Obwohl ich die Beziehung nach ein paar Monaten wieder beendet habe. Das hatte aber nichts mit HIV zu tun. Davon hatte ich ihm gar nichts gesagt.

Das heißt, auf unser Thema bezogen, hast du dich für die Variante entschieden: Ich kann ihn nicht anstecken. Von meiner Infektion muss er nichts erfahren.

Ja. – Obwohl, so richtig wohl gefühlt habe ich mich dabei nicht. Eigentlich mag ich keine Heimlichkeiten. Ich bin sonst immer offen und direkt.

Es hat dich gestört, ständig ein Geheimnis mit dir herumzutragen?

Ja, genau. – Denkt nach – Und so richtig konnte ich mich eben doch nicht fallen lassen. Mehr als Knutschen und gegenseitige Befriedigung mit der Hand habe ich nicht zugelassen.

Hättest du denn mehr gewollt?

Naja, schon. Obwohl – er war noch nicht der Richtige.

Mal angenommen, er wäre es gewesen?

Dann hätte mich das mit dem Geheimnis noch mehr gestört. Und ich hätte es ihm irgendwann gesagt. Das könnte ich gar nicht, das auf Dauer verschweigen. Ich würde einen guten Moment abwarten. Warten, bis die Beziehung sich gefestigt hat.

Noch einmal zurück zum Stuttgart-Mann: Hast du vielleicht auch deshalb auf eindringenden Sex verzichtet, weil du „Schutz durch Therapie“ doch nicht so ganz traust?

(Denkt nach) Kann sein, dass da noch so eine Restangst ist. Obwohl – seit Düsseldorf eigentlich nicht mehr. Seitdem ich auf dieser Tagung mit all den anderen Frauen gesprochen habe. Es ist ja bei keiner was passiert.

Und bei denen, die an der großen Partnerstudie teilgenommen haben, auch nicht. Es ist nur leider so, dass die HIV-Negativen von „Schutz durch Therapie“ meist nichts wissen. Zudem haben die wenigsten eine Vorstellung davon, wie schwierig es für Positive ist, sich vor dem Sex mit der HIV-Infektion zu outen.

Nein, darum machen die sich keinen Kopf.

Könntest du dir eigentlich vorstellen, den Spieß einmal umzudrehen? - Menschen mit HIV haben meist nur das eigene Stigma im Kopf. Den vermeintlichen sexuellen Makel. Der aber bei erfolgreich Behandelten jeglicher Grundlage entbehrt. - Wie wäre es denn für dich, deinen Partner in spe mal nach seiner sexuellen Gesundheit zu fragen?

Zu fragen, bist du HIV-positiv?

Nicht nur das. Es gibt schließlich noch andere sexuell übertragbare Krankheiten. Syphilis, Tripper, Chlamydien und Konsorten.

Hm. – Denkt nach – Es ist ein bisschen wie - wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Das ist kein schlechtes Bild. Solange Sexualität von Menschen mit HIV noch kriminalisiert wird.

Ja, es wäre schon gut, wenn niemand mehr vors Gericht müsste.

Gäbe es etwas, was dir helfen würde, wenn du das nächste Mal jemanden kennenlernst?

(Überlegt) Wenn mein Freund vertrauen könnte. Wenn er glauben könnte, dass „Schutz durch Therapie“ funktioniert.

Ich wünsche dir viel Glück!

Drei Frauen in NRW – drei Leben mit HIV

Margarete

Margarete ist eine Frau mit einem sehr bewegten Leben. Das konnte man gleich in den ersten Sätzen unseres Interviews mit ihr heraushören. Und sie entspricht überhaupt nicht der allgemeinen Vorstellung von einer Frau ihres Alters, Jahrgang 1938. Sie hat immer schon, auch mit ihrem vor fast 30 Jahren verstorbenen Mann, ein Leben neben ihrem "offiziellen Leben" geführt, wie sie es nannte. Dadurch kam sie bereits früh in Kontakt zur schwulen Szene, damals noch im Süden Deutschlands. Sie schloss viele Freundschaften, hatte auch sexuelle Kontakte mit schwulen Männern und erlebte die Zeit, in welcher Aids noch tödlich war, sehr intensiv. Denn die meisten ihrer Freunde starben daran. Über zwei Jahre lang begleitete sie einen engen Freund und musste damals miterleben, wie er starb. "Es war eher ein Krepieren" sagte sie, was sie nur schwer ertragen konnte.

1998 erwischte es auch sie. Sie fühlte sich schlecht, hatte eine Lungenentzündung, ging zu ihrem Arzt und bat ihn konkret um einen HIV-Test. Auch wenn der Arzt "aus der Familie" kam, war er trotzdem verwundert, erfüllte ihr jedoch ihren Wunsch. Und ihr Verdacht bestätigte sich. "Das hatte ich ja immer im Hinterkopf, das war mir schon klar, dass es mich eines Tages erwischen könnte." antwortete Margarete auf die Frage, wie sie diese Nachricht aufgenommen hatte. Trotzdem spricht sie kurze Zeit später vom Schock ihres Lebens. Nun ist Margarete aber kein Mensch, der sich davon erdrücken lässt. Nein, das war nicht ihr Weg. "Okay, et is nu so" sagt sie "und jetzt müssen mer gucken."

Zu ihrem Glück hatte die medikamentöse Versorgung bereits enorme Fortschritte gemacht. Seit 1996 gab es die Dreierkombination, Medikamente, die, adhärent eingenommen, einen Ausbruch der Immunschwäche verhindern konnten. Und so lebt sie bereits viele Jahre mit der Infektion. Und ist zufrieden. Natürlich leidet sie ein wenig an den Nebenwirkungen, aber sie kennt weitaus schlimmere Schicksale. Das rückt ihre Perspektive immer wieder zurecht.

Mittlerweile ist Margarete umgezogen. In der dörflichen Umgebung in der Nähe von Xanten, in der sie sich niedergelassen hat, spricht sie nicht über ihre Infektion. Sie lässt sich nach wie vor ihre Medikamente von ihrem Apotheker aus dem Süden zusenden und geht für die Kontrolluntersuchungen eben in die Großstadt.


Stella

Von Stella, so scheint es, können alle Menschen lernen. Und das in vielerlei Hinsicht. Egal ob sie krank oder kerngesund sind, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht, ob sie Frau oder Mann sind ... Denn Stella hat eine klare Maxime für ihr Leben. Erst recht, seitdem sie von ihrer Infektion weiß: Sie versteckt sich nicht, sondern fordert im Gegenteil von jedem einen respektvollen Umgang ein. Diskriminierung lässt sie nicht zu. Menschen, die ihr auf diese Art zu nahe kommen, weist sie deutlich in ihre Schranken.

Stella hat vor gut fünf Jahren mit Mitte 30 ihre Diagnose erhalten. Bei einer Blutspende wurde die Infektion festgestellt. Das traf sie wie ein Blitz. Wie konnte es sein, dass sie HIV bekam? Was sollte sie jetzt machen? Ihr Leben war erst einmal auf den Kopf gestellt. Selbstverständlich gab es eine Auseinandersetzung mit ihrem Mann, der sich aber klar zu ihr bekannte. Ihre Kinder waren damals noch zu klein für eine solche Offenbarung. Stella hatte Angst vor den Reaktionen der Außenwelt. Was würde die Umgebung machen, wenn sie von den Kindern erführen, dass ihre Mutter HIV-positiv wäre? Würden ihre Kinder Schaden nehmen? Jetzt, wo die Kinder alt genug sind, sucht sie noch nach dem richtigen Zeitpunkt, ihre Kinder aufzuklären.

Über die eigene Geschichte hinaus sind die Kinder jedoch mit dem Thema vertraut, denn Stellas Krankheitsbewältigung hat viel mit ihrem offensiven Umgang mit dem Thema HIV zu tun. Sie ist aktiv geworden, arbeitet ehrenamtlich im Bereich HIV und Aids und gibt ihr Wissen gern an andere weiter. Auch an ihre Kinder. Sie nimmt jede Gelegenheit wahr, Menschen aufzuklären und allen deutlich zu zeigen "Hey, wir sind da, wir sind mitten im Leben." Und was ihr damals wie heute sehr hilft: "Niemand ist allein!" Denn das ist ihr ein Herzensanliegen. So wie sie in der Aidshilfe aufgenommen wurde, warmherzig, hilfsbereit und ohne Vorbehalte, so möchte sie auch andere Menschen aufgenommen wissen. Dafür engagiert sie sich. "Wenn ich mich selber nicht akzeptiere, dann geht es nirgendwo gut." So sagt sie uns in unserem Gespräch. Auch dies ist eine ihrer Lebensmaximen. Aber sie ist vorsichtig, Freunde oder Verwandte weiht sie auch heute noch nur sehr selektiv ein. Sie schaut genau hin, wer mit dem Wissen über ihren HIV-Status umgehen kann und wer nicht.

Mit ihren Ärztinnen und Ärzten ist sie sehr zufrieden und fühlt sich gut aufgehoben. Ein Orthopäde brachte sie mal richtig auf die Palme, als er, nachdem sie ihm ihre HIV Infektion offenbart hatte, seine Arzthelferin ausdrücklich um eine Desinfektion bat. Sie fragte ihn, ob er vor ihr denn nicht desinfiziert hätte.

Auch mit ihrer Medikation ist sie rundum glücklich und hat sie seit fünf Jahren nicht verändert. Ihre Kombi ist wirksam und gut verträglich. Trotzdem beobachtet sie die aktuelle Entwicklung in der Medizin und hofft auf eine Heilung. Irgendwann… Denn auch wenn es sich mittlerweile gut mit HIV leben lässt, so hat die lebenslange Behandlung immer wieder auch Nebenwirkungen.

Diskriminierung aufgrund ihres Migrationshintergrunds hat sie nie erlebt. Das hat nie eine Rolle gespielt. Aber sie weiß, dass viele Menschen aus dem Ausland ganz anders mit der Infektion umgehen, deutlich verängstigter sind, sich zurückziehen oder gar daran verzweifeln. In der Community ist ein offener und verständnisvoller Umgang mit HIV noch nicht selbstverständlich. Hier genau liegt ihr Ansatzpunkt, denn ihr hatten gerade in der ersten Zeit ihre Kontakte sehr geholfen, HIV zu akzeptieren. Man sollte mit dieser Krankheit nicht alleine umgehen müssen, so lautet ihre Botschaft. Daher engagiert sie sich auch aktiv in einer Selbsthilfegruppe für Migrantinnen und Migranten.

Ihre Arbeit war zu keiner Zeit von den sozialen Folgen des HIV gefährdet. Sie ist selbstständig in der Kosmetikbranche. Ihr ist wichtig, ihre Stammkundinnen über die Infektion zu informieren. Diese reagieren zum allergrößten Teil gelassen und denen, die sich ängstigen, gibt sie eine Broschüre, womit sie sich informieren können. Natürlich beantwortet sie auch alle Fragen.

Stella steht heute mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Sie ist stark. Und ist überglücklich, in einer Zeit zu leben, in der die Diagnose "HIV-positiv" nicht mehr gleich ein Todesurteil ist.


Lisa

Lisa ist eine junge Frau von 21 Jahren. Sie lebt mit der HIV-Infektion bereits seit ihrer Geburt. Aufgewachsen ist sie in einer ländlichen Gegend. Ihre Eltern haben ihr daher schon früh beigebracht, zurückhaltend mit dem Thema HIV umzugehen. So machte sie nie viele Worte darum und hat dies bis heute nicht geändert. Denn diskriminiert, so sagte sie bei unserem Gespräch, werden Menschen auf dem Land schon wegen ganz anderer Geschichten. Dem möchte sie sich nicht aussetzen. Im Gegenteil: Heute bereut sie den Schritt, ihre damals beste Freundin ins Vertrauen gezogen zu haben. Freundschaften verändern sich und Lisa ist sich nicht sicher, ob ihre damals beste Freundin ihr Vertrauen heute nicht missbraucht.

Als Zehnjährige erfuhr sie erstmals von ihrer Infektion. Damals konnte sie die Dimension noch nicht begreifen und interessierte sich nur mäßig für das Thema. Später begann sie, sich zu informieren, wollte sich aber nicht mehr als nötig damit auseinandersetzen. Denn sie konnte und kann bisher recht gut damit leben. Sie hat es von Anfang an gelernt. Sie ist damit aufgewachsen, sagt sie.

Heute geht es ihr gut, sie ist gut eingestellt und sehr zufrieden mit ihrer Kombination. Ihr fällt es leicht, ihre Medikamente konsequent einzunehmen. Nebenwirkungen spürt sie keine. Lediglich einmal im Alter von 18 Jahren, da bekam sie nach einer Umstellung der Kombi Nesselfieber. Es verschwand wieder, als man eine Komponente der Medikation veränderte. Lisa geht regelmäßig zu den Kontrolluntersuchungen. Ihre Viruslast liegt unter der Nachweisgrenze. Und weil das alles so ist, möchte sie auch nichts verändern. Wir erleben sie als eine intelligente und wache, junge Frau, die verantwortlich mit sich und ihrem Körper umgeht. Ihr Verständnis für andere Jugendliche, die nicht so adhärent mit ihren Medikamenten umgehen, ist stark begrenzt.

Nachdem sie vor wenigen Jahren für die Pädiatrie zu alt wurde, hat ihr Kinderarzt sie an einen Spezialisten in der Großstadt verwiesen, den er kannte und empfahl. Bei ihm fühlt sie sich seitdem gut aufgehoben, auch wenn das bedeutet, dass sie alle drei bis vier Monate einige Stunden unterwegs ist. Auch hier sieht sie keine Veranlassung zu einer Veränderung.

Heute lebt Lisa in einer mittleren Großstadt. Die Möglichkeit, hier einen offenen Umgang mit HIV zu pflegen, schlägt sie jedoch für sich persönlich weiterhin aus. Denn es ist nicht Berlin, die Menschen erlebt sie auch hier tendenziell als befangen beim Thema Aids und HIV. Wegen ihrer geringen Viruslast, die eine Ansteckung verhindert, sieht sie es auch nicht ein, potenzielle Sexualpartner sofort einzuweihen. Das möchte sie von Fall zu Fall entscheiden. Ihrem ersten Freund hatte sie sich damals offenbart. Und gute Erfahrungen gemacht. Er konnte damit umgehen.
Angst, jemanden anzustecken, hatte sie jedoch ohnehin nie. Sie war informiert über die Übertragungswege und verhielt sich entsprechend.

Zurzeit absolviert Lisa ein Praktikum in einer Aidshilfe. Ihre Erfahrungen werden dort sehr geschätzt. Denn HIV-positive Jugendliche gibt es in Deutschland glücklicherweise nicht so viele. Trotzdem ärgert sie sich über die Tatsache, dass besonders ältere Kinder und Jugendliche mit HIV in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. So empfindet sie es zumindest. Das stört sie, selbst wenn ihr durchaus bewusst ist, wie klein diese Personengruppe ist. Sie möchte mit ihrem Engagement jedenfalls auf sich und ihre Altersgruppe aufmerksam machen.

"Ich habe lieber HIV als Diabetes" - Eine junge Frau geht ihren Weg

Simone gehört mit ihren knapp 22 Jahren bereits zu den sogenannten "Langzeitüberlebenden". Denn sie ist von Geburt an positiv. Im Alter von zehn Jahren klärten sie ihre Eltern darüber auf und übertrugen ihr ab da schon einen großen Teil der Verantwortung für sich selbst. Gemeinsam informierten sie sich, gingen zu Vernetzungstreffen in der Aidshilfe, suchten sich einen Arzt, dem sie vertrauten. Schon als Kind lernte Simone, diskret zu sein und sich lieber selbst zu helfen. Ihre Medikamente nahm sie so ein, dass niemand etwas davon mitbekam. Sie lernte früh, ihrem Körper die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, auf gesunde Ernährung zu achten, Zeichen richtig zu deuten und auch danach zu handeln.

Den Sprung vom Kinderarzt zum Facharzt erlebte sie damals mit gemischten Gefühlen. Ihr langjährig vertrauter Arzt empfahl sie an einen Spezialisten in einer HIV-Schwerpunktpraxis. Die behütete und sanfte Welt der Kinderarztpraxis musste sie nun gegen eine neue tauschen mit Patientinnen und Patienten, die sie manchmal erschreckten. Denn natürlich gab es unter ihnen auch drogenkonsumierende Menschen und solche, die bereits unter den Folgen von Aids zu leiden hatten. Nach kurzer Zeit jedoch überwog das Gefühl, gut aufgehoben zu sein bei einem ebenso medizinisch wie sozial kompetenten Arzt.

Ihre Pflegeeltern beschlossen damals nach der HIV-Diagnose, nur ganz wenige Menschen einzuweihen. Enge Angehörige und natürlich die Ärzte wurden informiert. Auch dieses Vorgehen hat bis heute Bestand. In Simone ist diese besondere Wachsamkeit und Sensibilität mittlerweile tief verankert. Heute stellt das einen klaren Vorteil dar. Denn in Zeiten der Massenkommunikation über soziale Netzwerke und das Internet bleibt ein Geheimnis zumeist nicht lange ein solches. Durch Facebook, Twitter und Co. ist die Gefahr der unfreiwilligen und unkontrollierten Preisgabe sensibler Daten enorm gestiegen.

Es fällt ihr aber auch nicht schwer, über ihre Infektion zu schweigen, denn das Thema hat nach all den Jahren an Brisanz für sie deutlich verloren. Heute ist ein aktives und ausgefülltes Leben mit HIV dank der medizinischen Entwicklung gut möglich. Wenn man konsequent auf seine Gesundheit achtet und regelmäßig seine Medikamente einnimmt. Das kommt ihr einfacher vor als eine Diabetes-Erkrankung, bei der sie ständig auf ihr Essen achten müsste und darauf, wie hoch ihr Insulinspiegel wär. Warum also sollte sie sich der Gefahr eines Datenmissbrauchs aussetzen?

Wenn sie das Bedürfnis hat, sich auszutauschen mit Menschen in ähnlichen Situationen, dann geht sie zu den Vernetzungstreffen der Aidshilfen. Hier kann sie offen über Probleme diskutieren, kann sich mit ihnen vergleichen und sich informieren und muss nicht ständig fürchten, "geoutet" zu werden.

Das Statement der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) aus dem Jahr 2008 kam für Simone genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie war damals 17 Jahre alt und machte gerade ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit jungen Männern.

Die neue Sichtweise schaffte Erleichterung und Freiheit – nicht nur für sie. Unter diesen Voraussetzungen konnte sich Sexualität entwickeln. Die unbedingte Notwendigkeit, sich gleich beim ersten Kontakt offenbaren zu müssen, wurde mit dem EKAF-Statement erstmals aufgeweicht. Simone ist trotzdem vorsichtig beim Geschlechtsverkehr. Denn wer sagt ihr, dass nicht sie sich vom Partner mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infizieren könnte? So hält sie sich an die Regeln des Safer Sex, denn sie hat von klein an gelernt, auf sich zu achten. Und sie kennt die Übertragungswege.

In einer festen Beziehung möchte Simone ihrem Partner gegenüber gern offen sein. Sie möchte ihm von ihrer HIV-Infektion erzählen und darauf vertrauen, dass es ihn nicht überfordert. Denn auch das hat sie schon erlebt.

Rücksichtnahme oder eine Sonderbehandlung aufgrund ihrer Infektion lehnt Simone für sich ab. Sie möchte wahrgenommen und akzeptiert werden wie all die anderen jungen Frauen auch. Sie empfindet sich nicht als gehandicapt von HIV. Bisher spürt sie kaum Nebenwirkungen und möchte sich auch keine weiteren Sorgen darum machen. Im Gegenteil: Sie hat noch viel vor, sie möchte die Welt sehen, möchte Fallschirmspringen und im Meer tauchen. Sie möchte viel erleben und lässt sich von ihrer Infektion nicht im Mindesten daran hindern. So sagt sie heute: "Ich plane mein Leben nicht anders, nur weil ich HIV habe."

Über eigene Kinder und den Aufbau einer Familie denkt Simone heute noch nicht nach. Aber sie kann sich vorstellen, später ein Kind zu adoptieren. Es ist ihr Wunsch, diesem Kind das zu geben, was sie selbst erfahren und erleben durfte: Ein geschütztes Heim, Geborgenheit, Liebe, Vertrauen und eine Erziehung zu innerer Stärke, Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein. Die Basis, die es ihr damals wie heute ermöglicht, selbstbewusst, stark und glücklich den eigenen Weg zu gehen.

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