HIV und Schwangerschaft

Viele Menschen mit HIV wünschen sich Kinder.  Dieser Wunsch muss nicht unerfüllt bleiben: Zeugung, Schwangerschaft und Geburt sind trotz der HIV-Infektion möglich. Eine Infektionsgefahr für den HIV-negativen Partner beziehungsweise die Partnerin kann dabei durch HIV-Medikamente und andere Methoden nahezu ausgeschlossen werden. Auch für das Kind besteht heute fast keine Infektionsgefahr, wenn entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.

Wird mein Kind gesund sein?

Eine Zeugung durch Geschlechtsverkehr ist unter bestimmten Bedingungen auch für Menschen mit HIV möglich. Zu diesen Bedingungen gehört vor allem eine gut funktionierende HIV-Therapie. Die Zeugung sollte ausschließlich nach eingehender Beratung in der HIV-Schwerpunktpraxis erfolgen. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen geht der HIV-negative Partner beziehungsweise die HIV-negative Partnerin so gut wie kein Risiko ein.

Wenn eine natürliche Zeugung nicht in Frage kommt oder gewünscht ist, gibt es noch zwei weitere Möglichkeiten: Wenn die Frau HIV-positiv ist, kann die Zeugung durch künstliche Befruchtung mit dem Sperma des Mannes erfolgen. Ist der Mann HIV-positiv, wird sein Sperma "gewaschen". Das bedeutet: HIV wird im Labor aus dem Sperma entfernt. Danach wird dann eine künstliche Befruchtung durchgeführt. Ausführliche Informationen zu diesem Thema geben die Deutsche AIDS-Gesellschaft und die Österreichische AIDS-Gesellschaft in ihren gemeinsamen Leitlinien zur "Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch".

Die Übertragung von HIV von der HIV-positiven Mutter auf das Kind kann heute durch verschiedene Maßnahmen in fast allen Fällen verhindert werden. Folgende Maßnahmen sind notwendig:

  • regelmäßige Einnahme von HIV-Medikamenten während der Schwangerschaft
  • regelmäßige Untersuchungen beim Frauenarzt und in der HIV-Schwerpunktpraxis oder HIV-Ambulanz
  • bei der Geburt sollte ein Ärzte-Team bereitstehen, das sich mit HIV auskennt
  • Verzicht aufs Stillen
  • vorbeugende Behandlung des Kindes mit HIV-Medikamenten für vier Wochen

Die Entbindung findet heute in den meisten Kliniken per Kaiserschnitt statt. In einigen spezialisierten Kliniken gibt es aber auch die Möglichkeit der vaginalen Entbindung. Damit ist kein höheres Risiko für das Kind verbunden, wenn die oben genannten Bedingungen eingehalten werden.

Weitere Informationen zum Theme HIV und Schwangerschaft finden Sie unter frauenundhiv.info.

Leitlinien zu HIV und Schwangerschaft/Geburt werden überarbeitet

Neue Erkenntnisse sprechen für das Stillen, wenn bei den HIV-positiven Müttern die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt

Die Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen wird überarbeitet. Derzeit beschäftigen sich die Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themen, etwa der Frage, ob Neugeborene von HIV-positiven Müttern eine Neo-PEP erhalten sollen. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im kommenden Jahr beim Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress vorgestellt. Neben vielen Experten aus dem medizinischen Bereich ist Jule Frielingsdorf als Vertreterin der Community Teil der Kommission. "Ich hoffe, dass wir uns an einigen Stellen für Umformulierungen entscheiden werden, die den neuesten Forschungserkenntnissen Rechnung tragen", sagt Frielingsdorf. Zwar seien die Leitlinien nicht bindend, sie könnten aber dazu beitragen, dass mehr Ärzt*innen auf dem aktuellen Stand sind und ihre Patient*innen in der Folge besser beraten. "Aufklärungsarbeit ist weiter nötig, damit zum Beispiel die Wünsche von HIV-positiven Schwangeren zum Thema Stillen mehr gehört werden."

Das Stillen war auch eines von mehreren Themen der 24. Fachtagung HIV und Schwangerschaft, bei dem Frielingsdorf ebenfalls dabei war. An dem interdisziplinären Treffen mit zahlreichen Fachvorträgen, Studien und Fallbeispielen nehmen jedes Jahr Ärzt*innen, Sozialarbeitende, Hebammen und Menschen aus der Community teil, sodass verschiedene Perspektiven eine Rolle spielen. "Zum Stillen wurde eine Studie vorgestellt, laut der das Risiko für eine HIV-Übertragung von der Mutter zum Kind bei unter einem Prozent liegt. Bei einer robusten Therapie ist es wahrscheinlich noch niedriger. Wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist, ist eine Übertragung kaum möglich." Es sei außerdem veranschaulicht worden, dass es für Mutter und Kind auch Nachteile haben könne, wenn nicht gestillt werde, etwa ein höheres Brustkrebsrisiko für die Mutter oder Koliken beim Kind. Auch der Wunsch nach Bonding, also einem engen Kontakt zu ihrem Kind durch das Stillen, sei bei vielen Müttern groß. "Wichtigster Faktor ist die Viruslast der Mutter", betont Frielingsdorf. Auf der Tagung sei von einem Fall berichtet worden, bei dem eine Kontrolle der Muttermilch durch einen PCR-Test falsche Ergebnisse geliefert hat, weil der Test ungeeignet war. Es sei also sehr fraglich, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Muttermilch zu testen.

Ein weiteres Thema der Fachtagung war der Ausbau von Testmöglichkeiten für HIV und die Sensibilisierung von Ärzt*innen dafür, sie auch Frauen anzubieten und deren Risiken anzusprechen. Noch immer gebe es Menschen mit HIV-typischen Krankheitsbildern, denen kein Test angeboten werde, sagt Frielingsdorf. Die Ziele von UN-Aids 95-95-95, nach denen mindestens 95 Prozent der HIV-positiven Menschen ihre Diagnose kennen sollen, von denen wiederum mindestens 95 Prozent unter Therapie sein sollten und von denen wiederum mindestens 95 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben sollten, sind noch nicht erreicht. "Bei den Diagnosen sind es erst 90 Prozent", sagt Frielingsdorf. Dieser Wert könne durch mehr Testmöglichkeiten verbessert werden.

Gelungener Start ins Leben

Noah* ist ein gesundes Baby. Nach einer etwas zu frühen Geburt hat er sich prächtig entwickelt und hält seine Mutter Mia und seinen Vater Paul ganz schön auf Trab. Kürzlich erst hat die kleine Familie gemeinsam eine längere Reise unternommen, die alle mit vielen schönen Erinnerungen verbinden. Einzig das Stillen ist manchmal schwierig, weshalb die Milchpumpe zum festen Inventar gehört.

Eine ganz normale Geschichte rund um eine Familiengründung – und leider doch noch immer nicht ganz selbstverständlich, denn Mia ist HIV-positiv. Sie war es immer schon, ist mit dem Virus und den zum Glück immer besser werdenden Therapiemöglichkeiten aufgewachsen. Schon seit mehreren Jahren engagiert sich Mia als Aktivistin bei XXelle Plus – dem Netzwerk von HIV-positiven Aktivistinnen in NRW. Das Engagement der Frauen von XXelle PLUS basiert auf ihrer Motivation, Mängel beseitigen zu wollen, die ihnen selbst das Leben mit HIV als Frau, Partnerin, Mutter erschweren.

Mia wohnt eher ländlich, ihr behandelnder HIV-Experte, Professor Dr. Georg Behrens, arbeitet im rund 200 Kilometer von ihrem Wohnort entfernten Hannover. "Bei ihm bin ich in Behandlung, seit ich 18 Jahre alt geworden bin", erzählt Mia. Ihr Pädiater habe den Wechsel dorthin empfohlen, da sie durch die lange Behandlungsdauer im Kindes- und Jugendalter schon einige Resistenzen entwickelt hatte. "Ich wollte einen guten Arzt, einen, der offen ist und immer informiert über neue Forschungsentwicklungen. Dr. Behrens hat mich medikamentös eingestellt, und ich fühle mich bei ihm und seinem Team an der Medizinischen Hochschule Hannover sehr wohl. Schon seit mehr als 15 Jahren ist meine Viruslast bei jeder Kontrolle unter der Nachweisgrenze."

Die gute Vertrauensbasis zu ihrem Arzt, seine Expertise und Offenheit für die Fortschritte im Bereich der HIV-Forschung, haben es Mia leicht gemacht, mit ihm auch über ihren Kinderwunsch zu sprechen. Für Paul und Mia war klar, dass sie sich Kinder wünschen, und es war auch klar, dass sie sich vorab Gedanken darüber machen würden, wie Schwangerschaft und Geburt am besten verlaufen sollen – soweit man eben planen kann. Mia wollte vaginal entbinden, sie wollte stillen und sie wollte, dass ihr Kind keine Neo-PEP (Neonatale Postexpositionsprophylaxe) bekommt. Nach aktuellem Stand der Forschung und den Deutsch-Österreichischen Leitlinien ist das alles auch möglich, ohne das Kind einem Risiko auszusetzen – vorausgesetzt die Viruslast der Mutter ist unter der Nachweisgrenze und sie hält sich an die Vorgaben ihrer HIV-Therapie.

Auch Mias niedergelassene Gynäkologin aus ihrem Wohnort war mit im Boot. "Ich hatte sie mir schon vor zwei oder drei Jahren gesucht, sie wird auch von unserer örtlichen Aidshilfe empfohlen. In ihrer Praxis wird man nicht diskriminiert, ich hatte noch nie ein schlechtes Gefühl dort, auch nicht unterschwellig. Ich fühle mich sehr gut betreut", sagt Mia.

Schneller als gedacht ging Mias Wunsch in Erfüllung und sie wurde schwanger. Aus Dr. Behrens’ Sicht war alles in Ordnung: Ihre Werte waren gleichbleibend gut, sie konnte ganz normal zum nächsten regulären Termin kommen. Bei der Gynäkologin fiel insbesondere positiv auf, dass sie beim nächsten Termin schon die Leitlinien auf dem Computer geöffnet hatte und sich zum aktuellen Stand der Forschung informierte. Auch bei Mias Arbeitsstelle fiel die Reaktion gut aus, und in den ersten Monaten erlebte sie eine unkomplizierte Schwangerschaft.

"Ich wollte dann möglichst bald die anderen Dinge klären, also eine Hebamme suchen und eine Klinik für die Entbindung", sagt Mia. Zuerst probierte sie es bei einer nahe gelegenen Klinik, die auch ihre Gynäkologin genannt hatte. "Da war aber schnell klar, dass ich beim Thema Stillen keine Unterstützung bekommen würde", erinnert sich Mia. Da sie weder ewig suchen noch in verschiedenen Krankenhäusern immer wieder die Deutsch-Österreichischen Leitlinien erklären wollte, folgte sie bald dem Rat von Dr. Behrens: "Er hat gesagt, ich soll einfach nach Hannover kommen. Das Klinikum kann das, und er hat sich bereit erklärt, einen entsprechenden Arztbrief zu schreiben. Das hat mich überzeugt." Für eine große Ultraschalluntersuchung und das Organ-Screening beim Kind machte sie daher einen Termin in der Pränataldiagnostik aus. "Bei der Gelegenheit habe ich die Leitlinien erläutert und meine Wünsche bezüglich Geburt, Stillen und Neo-PEP vorgetragen. Ich hatte das Gefühl, dass ich das ein Stück weit einfordern musste, aber damit war es dann auch geklärt. Und ich hatte den Arztbrief." Ein weiterer Termin zur Geburtsplanung verlief ebenfalls gut.

Nachdem alles geplant war, musste Mia allerdings mit medizinischen Komplikationen umgehen, die mit ihrem HIV-Status nichts zu tun hatten. "Im Dezember hatte ich einen verkürzten Gebärmutterhals und musste viel liegen und ständig zur Kontrolle. Und als ich in der 29. Woche war, wurde eine Schwangerschaftscholestase diagnostiziert. Ich hatte starken Juckreiz an Händen und Füßen", erinnert sich Mia. Die Erkrankung ist vergleichsweise selten und tritt in der späten Schwangerschaft auf. Dabei ist der Gallenfluss gestört, Leber und Galle arbeiten nicht richtig, die Konzentration der Gallensäure steigt an. Das kann ab einem bestimmten Wert zur Gefahr für das ungeborene Kind werden, es drohen eine Frühgeburt und im schlimmsten Fall sogar der Tod des Kindes. "Es folgten bange Wochen für uns, wir sind oft bei der Pränataldiagnostik in Hannover gewesen", sagt Mia. "Die Medikamente, die ich bekommen habe, haben leider nicht viel geholfen, ich musste immer wieder die Werte kontrollieren lassen." 100 µmol/l gelten als Grenzwert für die Konzentration der Gallensäure. Wird der Wert überschritten, sollte die Geburt eingeleitet werden.

Entsprechend war die Kliniktasche gepackt und stand bei Mia und Paul nun immer bereit. Kurz vor der 36. Schwangerschaftswoche, einen Tag nachdem per CTG (Kardiotokografie, Standarduntersuchung zur Kontrolle des Befindens des ungeborenen Kindes) Herztöne und Wehentätigkeit überwacht worden waren, war dann der Grenzwert tatsächlich überschritten und die werdenden Eltern machten sich auf den Weg nach Hannover zur Klinik. "Ich wurde in der Pränataldiagnostik notfallmäßig aufgenommen, es wurde alles besprochen und noch mal Blut abgenommen. Danach folgte ein Hin und Her zwischen Station und Kreißsaal." Auf der Station sollte Mia einen Anamnesebogen ausfüllen, ihre Unterlagen und Akten mit allen Informationen und Arztbriefen lagen derweil im Kreißsaal. "Ich habe alles wahrheitsgemäß eingetragen, und dann kam von einer Schwester die Aussage, dass das mit dem Stillen wohl nicht gehen wird. Das war natürlich ein Schock." Doch Mia ließ sich trotz ihrer schwierigen Situation nicht beirren und sprach beim nächsten CTG mit der Oberärztin. Ihre Beschwerde über die Aussagen zum Abstillen nahm die Ärztin ernst, informierte sich und hielt Rücksprache.

Bis Noah wirklich auf der Welt war, wurde es noch ein paar Mal turbulent. Ein Blasensprung und heftige Wehen, Beruhigungsmittel, die die Wehen aber komplett stoppten, Tabletten zur Einleitung: Noah machte es seinen Eltern nicht ganz einfach. Immerhin konnten sie schließlich ein Familienzimmer beziehen. So konnten alle zusammen bleiben und Paul wurde nicht zum Fahren gezwungen. Irgendwann war der Muttermund weit genug geöffnet und für Mia ging es in den Kreißsaal. "Dort waren eine Hebamme und eine Studentin an meiner Seite, die mich sehr bestärkt und mir sehr geholfen haben. Sie haben darauf geachtet, dass alles so läuft, wie es abgesprochen war. Ich habe noch einmal betont, dass Noah keine Neo-PEP bekommen soll." Die Geburt war schwierig, aber dann war Noah endlich da: ein bisschen zu früh, noch etwas schwach, aber ansonsten gesund. Vater Paul begleitete ihn zur U1. Das war sinnvoll, denn die beiden Kinderärzte, die Noah anschauten, hatten sich offenbar nicht informiert. Sie fragten Paul nach Mias Viruslast und hätten am liebsten doch die Neo-PEP verabreicht. "In Noahs Brief zur Entlassung steht ausdrücklich, dass sie es nur auf elterlichen Wunsch nicht gemacht haben", sagt Mia. Vielleicht sei das aber auch eine Haftungsfrage.

Etwas unglücklich ist sie rückblickend darüber, wie es mit dem Stillen gelaufen ist: "Ich habe unterbewusst das Gefühl, dass das einige vom medizinischen Personal eigentlich nicht wollten, dass ich stille, und entsprechend wenig Unterstützung angeboten haben. Ich hatte zum Beispiel mitbekommen, dass man schon vor der Geburt das Kolostrum (Vormilch oder Erstmilch) hätte ausstreichen können, damit Noah es als Frühgeburt in jedem Fall bekommen kann. Aber es hat, auch nach mehrmaligem Nachfragen, einen Tag lang gedauert, bis eine Schwester im Dienst war, die mich dabei unterstützt hat. Auch hat es mehrere Tage gedauert, bis die Stillberatung bei mir war. Die war dann aber top, als sie endlich kam." Mia weiß aber auch, dass Noah am Anfang schwach war und deshalb nicht gut bei ihr trinken konnte. Daher musste zugefüttert werden. Ob es also wirklich ein Vorenthalten einer guten Beratung – womöglich wegen Mias HIV-Status – war, oder ob das medizinische Personal schlicht zu wenig Zeit hatte und Noah zudem nicht kräftig genug zum Trinken war, lässt sich nicht so leicht beantworten. Es bleibt ein etwas ungutes Gefühl.

Dass es auch in die andere Richtung, nämlich in Überengagement, umschlagen kann, zeigt die Anekdote um eine Kinderärztin aus der Klinik. "Sie wollte noch einmal über Neo-PEP sprechen und hat tatsächlich gefragt, ob mein Mann informiert ist. Dabei war er ja die ganze Zeit dabei und hat bei der U1 selbst gesagt, dass wir keine Neo-PEP möchten", sagt Mia und muss ein bisschen lachen. Nach zehn Tagen im Krankenhaus, in denen Noah gut im Leben ankam, sollte es nach Hause gehen.

Zu den Besuchern in der Zwischenzeit zählte auch Dr. Behrens. Er empfahl einen Pädiater aus der Klinik für Noah, bestärkte Mia aber auch darin, dass eine übertrieben engmaschige Überwachung in ihrem Fall nicht notwendig ist. Nach sechs Wochen sollte Noah vorgestellt werden, auch um zu prüfen, ob eine Viruslast nachweisbar ist. Der Arzt erwies sich bei dem Termin zwar als nett, zeigte sich allerdings von einigen Entscheidungen der Eltern – auch bezüglich der nicht sehr engmaschigen Kontrolle trotz des Stillens – nicht begeistert. "Ich glaube, er wollte uns ein schlechtes Gewissen machen, was alles passieren kann, wenn man nicht so oft zur Kontrolle kommt. Da sollte ein bisschen Angst aufgebaut werden, hatte ich das Gefühl. Und er schien irritiert, dass ich so gut informiert war und wir so klar in unserem Handeln aufgetreten sind. Aber es ist ja einfach so, dass der Key-Faktor die Viruslast der Mutter ist – und ich bin unter der Nachweisgrenze", sagt Mia. Nicht in Ordnung habe sie zudem gefunden, dass beim Test zur Viruslast bei Noah noch viele weitere Blutwerte abgenommen wurden, ohne das abzusprechen. "Die Daten sollen wohl in eine Studie einfließen, aber darüber hätte er vorher mit uns reden müssen", sagt Mia. "Dann wäre das auch kein Problem gewesen."

Während der Pädiater in der Klinik also gemischte Gefühle hinterließ, war der niedergelassene Kinderarzt vor Ort ein Volltreffer: "Er ist supernett und die Praxis ist sensibilisiert für unsere Geschichte. Dort arbeitet nämlich zufällig eine Sprechstundenhilfe, die mich noch als Kind kennt. Der Arzt ist entspannt und hat sich gut informiert. Die Tests haben gezeigt, dass Noah negativ ist, und dabei bleibt es auch."

Ebenfalls gute Erfahrungen hat Mia mit ihrer Hebamme gemacht, die sie früh gesucht und bei der sie auch einen Geburtsvorbereitungskurs besucht hat: "Ich habe direkt mit offenen Karten gespielt. Sie hatte zwar noch keine Erfahrung mit der Betreuung von HIV-positiven Schwangeren, sondern kannte das Thema nur aus der Ausbildung. Aber sie hat sich darauf eingelassen und ein paar Dinge habe ich erklärt. Das war alles kein Problem. Ich habe sie um Unterstützung gebeten, als ich von der Schwangerschaftscholestase erfahren habe, und auch bei der Nachbetreuung war alles super."

Insgesamt ist Mia zufrieden damit, wie Schwangerschaft und Geburt gelaufen sind, auch wenn sie auf die Komplikationen natürlich gerne verzichtet hätte. Manchmal musste sie zwar deutlicher ihre Forderungen vertreten, als andere Schwangere das vielleicht müssen, aber am Ende konnte sie ihre Wünsche durchsetzen. "Ich kann allen HIV-positiven Schwangeren nur raten, sich darauf einzustellen, dass nicht alle Menschen – auch beim medizinischen Personal – informiert sind. Man muss Dinge immer wieder neu erklären. Dafür muss man mutig sein und man braucht Durchsetzungskraft." Am besten sei es, als Anwalt der eigenen Wünsche aufzutreten und sich nicht davon abbringen zu lassen. Und vielleicht, so hofft Mia, verbreite sich das Wissen um die Leitlinien in Zukunft noch besser unter den Mediziner*innen, sodass manche Diskussionen gar nicht mehr nötig sind.

* Alle Namen der Familie im Text wurden auf ihren Wunsch geändert

"Ja zum Kind"

Rosi ist HIV-positiv und seit wenigen Jahren Mutter. Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrem kleinen Jungen schwärmt. Es war ein steiniger Weg bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihr Kind erstmals in den Armen halten konnte. Damals war sie bereits 39 Jahre alt und HIV-positiv. Sie selbst hatte mit den Jahren für sich einen Weg gefunden, mit dem Virus zu leben. Aber was, wenn sie das Kind anstecken würde? Damals, 2009, gab es noch deutlich mehr Ängste und Unsicherheiten. Um sicher zu gehen, zog man daher in der Regel die Geburt per Kaiserschnitt der natürlichen Geburt vor. Auch wurde vor einem Risiko der Infektion durch die Muttermilch gewarnt, so dass viele Frauen vom Stillen ihres Kindes Abstand nahmen.

Für eine brasilianische Frau scheint beides schier undenkbar. Der Weg durch den Geburtskanal ist wichtig für das Kind, das Stillen ist die natürlichste Ernährungsmethode und stellt noch dazu eine ganz besondere Verbindung zwischen Mutter und Kind her. Was ist das für eine Mutter, die ihr Kind nicht stillt?

Auf der anderen Seite tickte ihre biologische Uhr. Sie wurde nicht jünger. Und auch wenn sie es nicht wollte, ihre Erziehung und kulturelle Prägung konnte sie auch nach zahlreichen Jahren in Deutschland nicht ohne weiteres abschütteln. Die Familie bedeutet viel in ihrer Kultur, wenn nicht sogar alles. Sie ist der soziale Unterstützungskreis, sie allein sichert die Zukunft. Je mehr Kinder, desto besser. Und, auch dies ist nicht unerheblich, eigene Kinder empfinden viele Frauen aus dem südamerikanischen und afrikanischen Raum vielfach als Bestätigung ihres Frau-Seins. In der Community brachte man ihr ob ihrer Kinderlosigkeit daher auch einiges Unverständnis entgegen. Rosi teilte diese Gefühle nicht unumwunden, hatte jedoch durchaus damit zu kämpfen.

Aber sie machte auch andere Erfahrungen. So war es ihre Gynäkologin, die sie zu einer Schwangerschaft ermutigte. Sie nahm ihr die Angst und schien gut informiert zu sein. Neueste Erkenntnisse der Medizin ab 2008 belegten erstmals, wie gering die Ansteckungsgefahr unter einer erfolgreichen und konsequent durchgeführten Therapie war. Den entscheidenden Impuls bekam Rosi aus ihrem Netzwerk für Positive Migrantinnen und Migranten. Dort begegnete ihr erstmals eine HIV-positive Frau mit Kind. Sie sah mit ihren eigenen Augen eine Mutter mit HIV. Und es schien ihr und ihrem Kind gut zu gehen.

Es wurde Zeit für eine neue Erfahrung! Ihr Partner und sie beschlossen, den Schritt zu wagen und ein Kind zu bekommen!

Die Umgebung der beiden reagierte ganz unterschiedlich. Die Eltern waren begeistert, was aber auch damit zusammen hing, dass sie nicht über ihre Infektion informiert waren. Der Großteil ihrer Freunde teilte diese Euphorie und freute sich mit dem Paar. Daneben gab es aber auch Verletzungen. So etwa von einer guten Freundin, die nicht in der Lage schien, ihre Ängste Rosi gegenüber zu formulieren und ihr stattdessen Verantwortungslosigkeit vorwarf. Rosis beste Freundin hatte sich sogar komplett zurückgezogen und mied den Kontakt mit ihr.

Die erste Zeit der Schwangerschaft war schwer. Rosi vertrug die Medikamente nicht, litt unter Übelkeit und Erbrechen. Sie machte sich Sorgen um das Kind in ihrem Bauch. Dadurch, dass sie vor der Schwangerschaft bereits eine mehrjährige Therapiepause eingelegt hatte, konnte sie nun den neuen Zyklus nicht mehr unterbrechen. Die Auswahl der Medikamente war für Schwangere jedoch sehr eingeschränkt. Glücklicherweise ging es ihr mit dem 2. Medikament besser, sie erholte sich gut und blieb bis heute bei dieser Kombinationstherapie.

Die Auswahl der Geburtsklinik war einfach: Im näheren Umkreis gab es 2009 nur zwei Kliniken, die auf einen Geburtsvorgang mit einer HIV-positiven Frau vorbereitet waren. Bei den Hebammen sah es nicht anders aus. Es gab zu wenig schwangere Frauen mit HIV, der Bedarf an Hebammen mit einem HIV-Schwerpunkt war zu gering.

Aufgrund fehlender Erfahrungswerte für Vaginalgeburten beharrte das Klinikpersonal nach wie vor auf der Wahl des Kaiserschnitts. Dass die Medizin Fortschritte gemacht hatte, war also noch nicht wirklich angekommen. Rosi war machtlos in Anbetracht der dünnen Versorgungslage.

Aber abgesehen davon fühlte sie sich in der Klinik gut aufgehoben. Das medizinische Personal behandelte sie freundlich und ebenso respektvoll wie ihre Mitpatientinnen. Es gab allein eine Situation, die auf Unsicherheiten im Umgang mit HIV schließen ließ. Rosi hatte den Eindruck, dass man sich zu sehr an den Leitlinien orientierte und dabei die Person etwas aus den Augen verlor. So erklärt sie sich heute die verfrühte Terminierung des Kaiserschnittes, durch welche sie viel Blut verlor. Auf den Blutverlust reagierten die Ärztinnen und Ärzte wiederum besonnen und verabreichten ihr Blutplasma statt einer Blutkonserve. Eine normale Bluttransfusion erhöht bei Menschen mit HIV die Gefahr einer Hepatitis-Infektion.

Der Geburt folgte ein weiteres aufregendes Jahr, nach dessen Ablauf erst festgestellt werden konnte, ob das Kind infiziert war oder nicht. Alles war gut gegangen. Der Test war negativ. Heute geht es Rosi und ihrem Kind gut.

 "...neben den Besonderheiten der Infektion ist die Frau eine ganz 'normale' Schwangere" - Interview mit der Hebamme Ute Lange

Ute Lange arbeitet als freiberufliche Hebamme in Wuppertal. Seit 1983 ist sie Hebamme, seit 1990 in eigener Praxis. Ihre erste Begegnung mit dem Thema HIV/Aids und Schwangerschaft hatte sie im Jahr 1996, als sie eine HIV-positive Frau während der Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett begleitete. Seit dieser Zeit hat sie rund 30 HIV-positive Frauen betreut. Sie ist außerdem Beauftragte für Internationale Hebammenarbeit im Deutschen Hebammenverband und Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin (M.A.). Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verbund Hebammmenforschung der Fachhochschule Osnabrück.

Sie haben als Hebamme mehrere HIV-positive Frauen begleitet. Sehr häufig erfahren Frauen während der Schwangerschaft von ihrer HIV-Infektion. Das löst natürlich erst einmal einen großen Schock und eine große Verunsicherung aus. Wie geht es den Frauen, wenn sie das erste Mal zu Ihnen in die Praxis kommen?

Die meisten HIV-positiven Frauen, die ich in meiner Praxis begleite oder begleitet habe, wussten bereits vor ihrer Schwangerschaft von der HIV-Infektion. Bei ihnen stellt sich die Situation deshalb anders dar, sie haben langjährige Erfahrung im Umgang mit ihrer Infektion.

Das heißt, die Frauen haben sich bewusst für eine Schwangerschaft entschieden?

Ob es sich jeweils um eine bewusst geplante Schwangerschaft handelt, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich frage die Frauen generell nicht, wie sie schwanger geworden sind, weil ich der Meinung bin, dass mich das erstmal nichts angeht. Einige Frauen berichten von sich aus irgendwann vom Beginn der Schwangerschaft und den Begleitumständen. Oft sind es ja Ängste und Schuldgefühle, die sie mit sich herumtragen. Da besteht dann ein gewisser Druck, jemandem davon erzählen zu wollen.

Eine HIV-positive Frau gilt aus medizinischer Sicht automatisch als sogenannte Risikoschwangere. Was verändert das innerhalb der Vorsorge?

In der Tat wird eine Schwangerschaft unter einer HIV-Infektion als Risikoschwangerschaft eingestuft. In einer Schwangerschaft ohne Risikofaktoren kann die Hebamme bis auf den Ultraschall alle Vorsorgeuntersuchungen durchführen. Erst wenn ein abklärungsbedürftiger Befund oder ein allgemeines Risiko festgestellt wird, wird die ärztliche Vorsorge notwendig. Bei einer HIV-positiven Frau ist dies der Fall, daher hat die Hebamme hier eher andere Aufgaben. Die Schwangere sollte also an einen niedergelassenen Gynäkologen und an ein HIV-Schwerpunktzentrum angebunden werden.

Welche Aspekte müssen beachtet werden?
 
Natürlich sollten die Laborparameter und die Viruslast im Blut sehr genau beobachtet werden. HIV-positive Frauen sind außerdem gefährdeter für die Entwicklung eines Schwangerschaftsdiabetes und vorzeitiger Wehen. Auch müssen weitere Infektionen ausgeschlossen oder gegebenenfalls behandelt werden, z.B. Hepatitis B und C. Zur Geburt werden HIV-positive Frauen in sogenannte Level I-Kliniken überwiesen, die eine intensivmedizinische Versorgung von Mutter und Kind gewährleisten können.

Das bedeutet, dass die Schwangerschaft sehr medizinisch dominiert ist. Die Schwangere wird mit sehr vielen medizinischen Informationen konfrontiert und sie muss viele Entscheidungen treffen. Wie kann man Frauen in dieser Situation unterstützen?
 
Das ist richtig. Als positive Frau ist die körperliche Erfahrung sehr häufig auf das Medizinische fokussiert. Die Hebamme kann an dieser Stelle eine gute psychosoziale Begleiterin sein, aber auch positiv auf mögliche medizinische Risiken wie vorzeitige Wehen Einfluss nehmen. Sie kann die Schwangere dabei unterstützen, eine andere Perspektive einzunehmen. Für viele bedeutet eine Schwangerschaft und ein Kind zu gebären eine unglaubliche Bestätigung ihres Frauseins. Frauen erleben sich in dieser Phase als sehr potent. Ich biete mich als Gesprächspartnerin an und kann den Blick wieder für das individuelle Erleben der Schwangerschaft öffnen: Für die Fragen und Ängste, für die Freude auf das Kind und das „Schöne“. Denn neben den Besonderheiten der Infektion ist die Frau eine ganz „normale“ Schwangere, mit allen Bedürfnissen und Wünschen, die sich in dieser Zeit entwickeln und die ausgedrückt werden wollen. Ich ermutige die Frauen, psychosoziale Angebote wahrzunehmen.

Sie haben in der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen HIV/Aids auf das gesundheitsfördernde Potential einer Schwangerschaft hingewiesen.

Ja. Heute weiß man, dass durch eine Schwangerschaft keine langfristige Verschlechterung der gesundheitlichen Situation positiver Frauen eintritt, den meisten geht es sogar besser. Ein Kind zu bekommen kann enorm immunstimulierend sein. Es zeugt von einem großen Lebenswillen und einer zukunftsgerichteten Lebensperspektive. Ein Aspekt ist sicher auch, dass Frauen in keiner anderen Phase ihres Lebens so empfänglich sind für gesundheitsfördernde Informationen und Veränderungen. 

Viele Frauen verheimlichen ihr positives Testergebnis aus Angst vor der negativen Reaktion ihrer Umwelt. Ist das in den geburtsvorbereitenden Gruppenangeboten nicht ein Problem?

Die letzte positive Frau, die ich begleitet habe, hat einfach nur an dem Kurs teilgenommen und den Kontakt zu anderen Schwangeren genossen ohne sich zu outen, warum nicht? Ich erlebe es in der Regel so, dass HIV-spezifische Fragen nicht in den Gruppenangeboten, sondern mit mir oder den Ärzten im geschützten Raum thematisiert werden. Das tun auch andere Frauen mit besonderen Erkrankungen oder Lebensumständen. Die Kurse auf der einen und die persönlichen Gespräche auf der anderen Seite erfüllen unterschiedliche Funktionen. Als Hebamme mache ich jeder Frau unterschiedliche Angebote. Das können Gesprächsangebote zu bestimmten Fragestellungen oder Problemen sein, Entspannungsangebote oder Körperarbeit. Ich finde es sehr wichtig, dass die Frau selbst bestimmt, was sie will. Manche möchten nur über ihre Babyausstattung sprechen oder über den kommenden Alltag mit ihrem Kind. Die Frau behält die Fäden in der Hand und entscheidet nach ihren Bedürfnissen, über was sie reden möchte, oder ob sie sie sich z.B. auf körpernahe Angebote einlassen möchte.

Wie finde ich denn als HIV-positive Frau eine Hebamme, die Erfahrung in der Begleitung von HIV-positiven Frauen in der Schwangerschaft hat?

Nach der Landesarbeitsgemeinschaft im Mai habe ich einen Rundbrief an alle Hebammen in NRW gesendet und sie aufgefordert, sich mit den Aidshilfen zu vernetzen. Unser Ziel ist es, dass jede Aidshilfe zu mindestens ein bis zwei Hebammen näheren Kontakt hat und die Schwangere gut weitervermittelt werden kann, weil man sich kennt. Die Aidshilfen tragen auch die Informationen über das Arbeitsspektrum der Hebammen weiter. Viele wissen gar nicht, dass eine Hebamme von der Familienplanung bis viele Monate nach der Geburt Hilfe und Unterstützung anbietet und dass diese Leistungen kostenlos sind. Ich würde jeder positiven schwangeren Frau empfehlen, bei der regionalen Aidshilfe nach bekannten Hebammen zu fragen, denn einige kooperieren schon seit vielen Jahren. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Kreisgruppen der Hebammen über die Homepage zu kontaktieren und hier telefonisch nachzufragen, welche Hebamme in der Region entsprechende Erfahrungen hat.

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Auf der Internetseite frauenundhiv.info der Deutschen AIDS-Hilfe finden Sie weitere Informationen zum Thema Frauen, HIV und Aids.

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