25 Jahre Streetwork in Bielefeld: Herzlichen Glückwunsch, Sabine!
Als Sabine Sauer vor 25 Jahren bei der Aidshilfe Bielefeld begann, den neuen Bereich, das neue Modellprojekt "Gesundheitsförderung für Frauen in der Straßenprostitution" aufzubauen, war sie in der Aidshilfe schon länger bekannt. "Ich habe den Geschäftsführer der Aidshilfe bereits während meines Studiums zur Diplom-Pädagogin mit der Fachrichtung Sexualpädagogik kennengelernt und mich echt gefreut, die Stelle zu bekommen". Das war 1995, nachdem sie bereits 1989 in der Beratungsstelle ein Praktikum absolviert hat. Ihre Diplom-Arbeit hatte sie dem Thema "Aidsprävention im Jugendalter" gewidmet.
Dieses neue Projekt war in Kooperation mit der Stadt Bielefeld und der Polizei mit den Zielen Gesundheitsförderung und Gewaltprävention bzw. Hilfe bei Gewalt für Frauen entwickelt worden.
Dabei war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass die Zielgruppe, drogengebrauchende Frauen in der Beschaffungsprostitution, nicht ganz einfach zu erreichen sein würde. Zusammen mit einer Kollegin aus der Drogenberatung machte sich Sabine auf den Weg in die Szene. "Was mich echt verwunderte, war die Reaktion in der Drogenszene – die Frauen kratzten sofort die Kurve während die Männer uns gleich umringten, als wir uns dort erstmals vorstellten und erklärten, warum wir da waren." Der daraufhin vorgenommene Wechsel in das Milieu der Sexarbeiter*innen gelang auf Anhieb leichter. Die erste Frau, die sie hier ansprachen, reagierte überraschend positiv darauf. Sie war begeistert, dass es nun endlich auch in Bielefeld eine Unterstützung für drogengebrauchende Frauen in der Beschaffungsprostitution geben sollte. Das löste bei den beiden Kolleginnen sofort einen Motivationsschub aus und wirkte wie ein erster Türöffner. Mit der Zeit lernten sie die Szene kennen und knüpften immer mehr Kontakte. Sie verteilten Präventionsmittel und Gleitgel und boten sich für Gespräche an. So begann alles.
In den folgenden 25 Jahren der Arbeit "auf der Straße" machte Sabine gute, aber auch einige schlechte Erfahrungen. Einschneidend war zunächst die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der Polizei Ende 2000, nachdem ein mehrjähriges Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Polizeipräsidenten zu dessen Rücktritt geführt hatte. Er stand mit einigen anderen Beteiligten u. a. wegen Förderung der illegalen Prostitution vor Gericht. 2003 wurde das Verfahren eingestellt.
Am 1. Januar 2002 trat das neue Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten in Kraft (ProstG). Damit wurde die Sexarbeit von der Sittenwidrigkeit befreit und gilt seitdem rechtlich als anerkannte Tätigkeit. Das veränderte viel im Selbstverständnis der Frauen und in ihrer Zugänglichkeit für Themen des Selbstschutzes.
Eine weitere richtig gute Erfahrung machte Sabine 2005 bei den Feierlichkeiten anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Arbeitsbereiches "Gesundheitsförderung für drogenabhängige Frauen". In diesem Zusammenhang fand im Rathaus die bundesweite Fachtagung "Leichte Beute? – Lebenswelten und Problemlagen von Frauen in der Beschaffungsprostitution" statt. "Ein Meilenstein, der viel Neues ermöglicht hat. Die Veranstaltung war ideal für mich um mich weiter zu vernetzen und auszutauschen mit Leuten aus den Arbeitsfeldern Aidshilfe, Drogenszene und Straßenstrich. Dieser überregionale Austausch ist sehr wichtig für mich."
Der Beitritt Bulgariens und Rumäniens in die EU 2007 entwickelte sich für Sabine und vor allem für die Bielefelder Sexarbeiter*innen zu einer massiven Veränderung der Arbeitsverhältnisse. "Wie vom Himmel gefallen tauchten Plötzlich Frauen aus dem osteuropäischen Raum auf dem legalen und später sogar auf dem illegalen Straßenstrich auf." Dadurch wurde die Konkurrenz rauer, die hinzukommenden Frauen hatten ganz andere Notlagen und Hintergründe und waren nicht nur wegen der Sprachbarrieren viel schwerer für Präventionsmaßnahmen erreichbar.
Leider machte das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), welches 2017 beschlossen wurde, viele Erfolge des o. g. Gesetzes wieder zunichte. Die neue Pflicht, sich offiziell zu registrieren, trieb und treibt viele der Sexarbeiterinnen in die Illegalität – sei es wegen einer fehlenden Arbeitserlaubnis oder aus Angst vor einem Outing. "Früher waren die Frauen viel leichter erreichbar. Das ist heute anders. Viele Frauen sind heute nicht mehr sichtbar – andere kommen aus Verhältnissen, die ihnen einen Kontakt oder ein Verständnis für unsere Arbeit und Ziele einfach unmöglich machen."
Beide Gesetze sind nicht nur für Sabine Ausdruck eines veränderten gesellschaftlichen Umgangs mit der Prostitution.
Auch die Drogenszene in Bielefeld hat sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert. Heute ist es eher untypisch, nur Heroin oder nur Kokain zu nutzen, vielmehr hat sich ein Mischkonsum verschiedener illegaler und legaler Substanzen durchgesetzt.Aber auch der Zugang zu Substitutionsangeboten hat sich deutlich verbessert. All das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Konsument*innen und damit auch auf die Zielgruppe für Sabines aufsuchende Arbeit.
In diesem Jahr (2020) hat Corona vieles erstmal "stillgelegt". Die Sexarbeiterinnen hatten zuerst ein Arbeitsverbot, dann durften sie wieder, dann wieder nicht. Begegnungen mit Menschen aus mehr als zwei Haushalten sind aktuell sogar untersagt. Gerade in dieser sehr schwierigen Zeit ist es für Sabine Sauer noch schwerer als sonst, den Frauen zur Seite zu stehen. Aber es gibt auch Highlights.Ein 2017 mit Projektgeldern der Deutschen Aidshilfe auf den Weg gebrachtes und seitdem bestehendes, monatliches, kostenfreies STI-Test-Angebot für Frauen auf dem Straßenstrich, konnte erstmals am 25. November wieder stattfinden.
Sabine Sauer und ihre Kolleg*innen begleiten in ihrer aufsuchenden Arbeit seit nunmehr 25 Jahren die Frauen rund um die Themen Gesundheitsförderung, Überlebenshilfe und Gewaltprävention. Sie bieten Kondome und Gleitgel, Wasser und Tee an und wenn es erwünscht wird auch gerne ein Gespräch und Unterstützung in Bereichen wie Ausländerrecht, Drogen, Wohnungslosigkeit und Gewalt gegen Frauen. Wenn eine Frau es möchte und selbst anspricht, so unterstützen sie auch beim Ausstieg aus der Sexarbeit. Aber das ist keine Voraussetzung. Die jeweiligen Lebenswelten der Frauen zu akzeptieren ist die Voraussetzung für die Arbeit von Sabine Sauer. "Es ist ein tolles Projekt", sagt sie. Auf dem (legalen) Strich in Bielefeld fühlt sie sich mit ihrer Arbeit und ihrem Angebot gut angekommen und etabliert. Sie erlebt heute eine Art der Wertschätzung von beiden Seiten – von vielen der Sexarbeiter*innen wie auch von den Institutionen, die hinter diesem Projekt stehen. Das bedeutet Stabilität und Rückhalt. Und Zukunft.
Herzlichen Glückwunsch, Sabine!
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