Picknick mit Schafen - wie im Urlaub
Michaela Diers, die bei der Aidshilfe Köln das Frauen- und Familienzentrum leitet, ist die Initiatorin eines tierisch-therapeutischen Projekts, das im Frühjahr 2019 seinen Anfang nahm. Der Titel "Picknick mit Schafen" ist dabei nur eine Andeutung dessen, was sich dahinter verbirgt, denn es wird nicht nur gepicknickt und es sind auch nicht nur Schafe als Vertreter*innen aus dem Tierreich dabei.
Dass Tiere eine – wie auch immer geartete, meist jedoch positive - Wirkung auf Menschen haben, ist wohl mittlerweile mehr als bekannt. Nicht umsonst gibt es immer mehr Tiere als Besucher*innen in Altersheimen oder therapeutischen Einrichtungen. Michaela, die selbst mit ihrem Therapiehund Paula arbeitet, hatte während ihrer Ausbildung von tiergestützten Projekten mit unterschiedlichen Gruppen gehört und war so überzeugt davon, dass sie ihre Idee in die Aidshilfe trug. Sie hatte durch Trainingsstunden mit Paula eine Hundeschule in Hürth kennengelernt. Hier laufen nicht nur Hunde um die Wette, sondern es befinden sich auch allerhand weitere große und kleine Tiere auf dem weitläufigen Areal. Diese vorwiegend gemächlich wirkenden, still vor sich hin kauenden Tiere könnten auch Ruhe und Abwechslung in die Gemüter der Frauen mit HIV/Aids bringen, die regelmäßig zur Beratung in die Aidshilfe kommen.
Es sollte erst einmal ein kleinerer Kreis von Frauen zusammenkommen, der sich in 14-tägigem Abstand mit einem Betreuerinnen-Team, Möhren für die Schafe und Kaffee und Kuchen für sich selbst auf den Weg nach Hürth macht. Zusammengekommen ist eine Gruppe sehr unterschiedlicher Frauen, die das Frauenzentrum seit Jahren für sich nutzen. Jüngere Frauen, Ältere Frauen, mit und ohne Migrationshintergrund, Frauen mit Handicap aber auch Frauen, die seelische Verletzungen durch stark belastende Vorfälle erlebt haben. Trotz ihrer Verschiedenheit, sie alle verbindet ihre HIV-Infektion. Alle nahmen bei diesen Ausflügen Rücksicht aufeinander und achteten darauf, dass sich keine ausgeschlossen fühlte.
Die Schafe fanden das toll und kamen recht schnell in Kontakt mit den neuen Besucher*innen. Die Frauen positionierten sich mit Picknickstühlchen und ihren eigenen Leckereien mitten auf die Wiese zu den Schafen. Anne – die Leiterin der Hundeschule – war dabei und erzählte zu jedem Schaf etwas und erklärte den Frauen, wie die Rangordnung funktioniert und was Leitschaf Christinchen so für Charaktereigenschaften hat. Es war ein schöner erster Tag. Auch für die Tiere muss es ein schöner Tag gewesen sein, denn 14 Tage später erinnerten sie sich noch an diese – wir nennen es mal reduziert: Futterquelle – und kamen gleich freudig angetrabt.
Mit der Zeit weiteten sich die Begegnungen aus und es kamen unter anderem ein Shetlandpony und zwei Pferde hinzu. Die Frauen wurden immer mutiger, fingen an, die Pferde zu striegeln und ihnen die Mähne zu flechten. "Das kenne ich doch von meiner Tochter", meinte eine Teilnehmerin und griff beherzt zu. Bei einigen Frauen aus dem afrikanischen Kulturbereich kamen Erinnerungen an die frühere Heimat hoch, an die eigenen Tiere oder die ihrer Eltern. So zeigten sich auch eigene Ressourcen und Kompetenzen, einige Frauen konnten Kühe melken, eine andere wusste, wie man Schafe schert. Kräuter auf der Weide wurden als Salatkräuter wiedererkannt. Manche Frauen entdeckten Bezüge zu ihrer eigenen Biografie. Sie kamen in Berührung mit ihren eigenen Stärken, streichelten Kühe und näherten sich mächtigen Tieren wie den Pferden.
Manche begannen, ihre eigene Situation auf die Tiere zu beziehen, so entdeckte eine beinverletzte Frau eine humpelnde Ziege und stellte ganz erstaunt fest, wie gut diese Ziege doch mit ihrer Behinderung zurechtkam. "Die geht ja wie ich!" Sie verglich sich und sah plötzlich, dass sie genauso zäh war wie die Ziege. Damit entdeckte sie ihre eigene Kompetenz, mit ihrer Einschränkung zu leben. Einige Schafe konnten die Möhren nicht mehr beißen – auch dies führte teilweise zu einem Wiedererkennen eigener Einschränkungen. Ein tierisches Pärchen bestehend aus einer Ziege und einem Schaf führte vor Augen, wie gut Lebewesen zueinander passen können, die "normalerweise" nicht füreinander bestimmt sind.
Die Erfahrungen einer der Frauen rührte alle ganz besonders. Diese Frau ist durch Asthma, Polyneuropathien und diverse andere Krankheiten sehr gebeutelt und zudem verängstigt. Dennoch traute sie sich nach ersten guten Erfahrungen mit den Schafen auch an eines der Pferde heran. Die Berührungen mit den Tieren führten tatsächlich zu einer Verbesserung ihrer Polyneuropathie. Sie war die Erste, die sich auf ein Pferd gesetzt hat. Alle hatten Tränen in den Augen, als sie ihre erste Runde mit dem Pferd geführt wurde, sich am Ende sogar auf den Rücken des Pferdes legte und danach ganz erstaunt sagte „Ich spüre meine Hände wieder!“ Seitdem hat sie deutlich weniger Probleme.
Frauen, die oft recht isoliert leben, empfanden diese Ausflüge wie Exkursionen in eine andere Realität. Teilweise sind die Frauen körperlich sehr gezeichnet. Hier spielte das plötzlich überhaupt keine Rolle. Tiere sind wie kleine Kinder - vorurteilsfrei.
So gab es mit der Zeit immer mehr schöne kleine und große Begegnungen und Erfahrungen. Einige der Frauen lernten, sich über die Tiere selbst zu spüren, wenn diese ihnen beispielsweise ihre eigene Anspannung spiegelten. Bei einem vorsichtigen Ritt blieb eines der Pferde plötzlich stehen. Anne erklärte es. "Das Pferd passt auf Dich auf. Es merkt, dass Du unsicher bist." Es verharrte solange, bis die Reiterin ihr Tier beruhigte und ihm versicherte, dass es nicht mehr aufpassen müsse. Eine Frau erlebte während eines Ausflugs eine Situation, die so starke Erinnerungen an ihre seelischen Verletzungen in ihr hervorriefen, dass sie unvermittelt in eine körperliche Starre verfiel. Eine heftige und unwillkürliche Reaktion.
Hier konnten ihr die anderen Teilnehmenden helfen, dass sie sich selbst aus dieser Starre wieder lösen kann. So konnte sie für sich und ihren Alltag mitnehmen, dass sie selbst es ändern kann und nicht komplett der Situation ausgeliefert sein muss. Und dass dies vielleicht ein Werkzeug auch für andere Trigger sein kann. Ein wichtiges Erlebnis und ein Ansatzpunkt für ein Gespräch mit der Therapeut*in…
Im Herbst 2019 pausierte das Projekt aufgrund der zunehmend ungünstigen Witterung. Leider verstarben in der Folgezeit zwei der Pferde an einer Vergiftung. Das traf die Frauen so sehr, dass alle erst einmal eine Pause vorschlugen. Der Wieder-Anfang ohne die beiden Tiere war schwer, wurde aber erleichtert durch die neuen Fohlen.
Die Corona-Pandemie stoppte auch dieses Projekt erst einmal für einige Monate. Es startete erst wieder am 24. Juni. Geplant ist für die Sommerferien eine Erweiterung durch einen weiteren Termin mit Familien mit kleinen Kindern. Viele Familien können durch Corona nicht in Urlaub fahren. Auch sie sollen hier etwas Entlastung erfahren. Und ihre Kinder sollten etwas zu erzählen haben, wenn die Schule wieder beginnt.
Termine
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