2020-07-07: UNAIDS-Bericht. Jetzt Ungleichheit abbauen, um globale Aids-Ziele zu erreichen
Ungleichheiten, Diskriminierung und die COVID-19-Pandemie führen weltweit zu hunderttausenden vermeidbaren HIV-Infektionen und Todesfällen, so UNAIDS. Das Ziel, Aids bis 2030 zu beenden, sei in Gefahr.
"Seizing the Moment", den Augenblick nutzen – unter diesem Titel hat UNAIDS am 6. Juli 2020 das Globale Aids-Update 2020 veröffentlicht. Die Aids-Organisation der Vereinten Nationen fordert die Regierungen dazu auf, unverzüglich zu handeln und ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten nachzukommen. Wichtig seien die Förderung starker, widerstandsfähiger und innovativer Communities sowie der Abbau von Geschlechterungleichheiten.
"In den nächsten zehn Jahren ist jeden Tag entschiedenes Handeln nötig, um die Welt wieder auf die Spur zu setzen und die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden", sagt UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima. Die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie dürfe dabei nicht zulasten des Engagements gegen HIV und Aids, Tuberkulose und Malaria gehen.
"Geschlechterungleichheiten, geschlechtsbasierte Gewalt und die Kriminalisierung und Marginalisierung verletzlicher Gruppen befeuern die HIV-Epidemie", schreibt auch UN-Generalsekretär António Guterres zum UNAIDS-Bericht. "Wir brauchen einen Wiederaufbau, der auf wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit basiert, denn die Defizite im Engagement gegen HIV wie gegen COVID-19 verlaufen entlang der Bruchlinien der Ungleichheit."
Der UNAIDS-Bericht 2020 macht deutlich, dass nach wie vor Millionen Menschen nicht von den Fortschritten in der HIV- und Aids-Prävention und -Behandlung profitieren können. Weil die für 2020 angestrebten Zielmarken nicht erreicht wurden, ist es nach UNAIDS-Angaben zu 3,5 Millionen zusätzlichen HIV-Infektionen und 820.000 zusätzlichen aidsbedingten Todesfällen gekommen.
HIV und HIV-Ungleichheiten im Jahr 2019 in beispielhaften Zahlen:
- Nur 950.000 Kinder mit HIV bekommen HIV-Medikamente – weit entfernt von der Zielmarke von 1,6 Millionen für 2018.
- Mehr als 850.000 Kinder – zwei Drittel davon älter als fünf Jahre – bekommen keine HIV-Medikamente, jedes fünfte davon lebt in Südafrika. Mehr als 95.000 Kinder sind 2019 an den Folgen von Aids verstorben.
- Die Zahl der jährlichen HIV-Infektionen ist zwar seit 2010 insgesamt um 23 Prozent gesunken (vor allem wegen des Rückgangs um 38 Prozent im südlichen und östlichen Afrika), in Osteuropa und Zentralasien aber um 72 Prozent gestiegen, in Lateinamerika um 21 Prozent und im Nahen Osten und in Nordafrika um 22 Prozent.
- 2019 haben sich 1,7 Millionen Menschen mit HIV infiziert – mehr als drei Mal so viel wie das globale Ziel von 500.000 Neuinfektionen für das Jahr 2020.
- Insgesamt lebten Ende 2019 rund 38 Millionen Menschen mit HIV, 12,6 Millionen von ihnen bekamen aber keine HIV-Medikamente, und 690.000 Menschen verstarben an den Folgen von Aids – ein Drittel davon an Tuberkulose.
- Kein Kind soll sich mit HIV infizieren – dieses Ziel wird Jahr für Jahr verfehlt. Obwohl sich HIV-Übertragungen von Müttern mit HIV auf ihre Kinder fast immer vermeiden lassen, gab es 2019 immer noch 150.000 Infektionen bei Kindern, zum Beispiel, weil die Mütter keinen Zugang zu HIV-Tests und zu HIV-Medikamenten hatten oder sich während der Schwangerschaft und Stillzeit infizierten.
- 62 Prozent der HIV-Neuinfektionen und damit überproportional viele entfallen auf besonders gefährdete Schlüsselgruppen und ihre Sexpartner_innen, zum Beispiel Männer, die Sex mit Männern haben, trans* Personen, Sexarbeiter_innen, Drogengebraucher_innen, Inhaftierte oder Migrant_innen und Geflüchtete.
- In den Ländern südlich der Sahara entfielen im Jahr 2019 rund 59 Prozent aller HIV-Infektionen auf Frauen und Mädchen, während es weltweit etwa 48 Prozent waren.
- Woche für Woche infizierten sich 2019 rund 4500 Mädchen und junge Frauen in Subsahara-Afrika – auf sie entfiel fast ein Viertel (24 Prozent) der HIV-Infektionen, während ihr Bevölkerungsanteil nur bei 10 Prozent liegt. Ein Grund ist Ungleichheit der Geschlechter, die Frauen und Mädchen vielerorts die Möglichkeit verwehrt, eigene Entscheidungen über ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit zu treffen.
Verschärft werden die schon vor Corona bestehenden Ungleichheiten und Probleme durch die COVID-19-Pandemie und die Maßnahmen dagegen, etwa Lockdowns.
Eine sechsmonatige vollständige Unterbrechung der HIV-Behandlung in Subsahara-Afrika könne 2020 und 2021 zu mehr als 500.000 zusätzlichen Todesfällen führen und die Aids-Sterblichkeit in der Region wieder auf den Stand von 2008 zurückbringen, so UNAIDS. Bei „nur“ 20 Prozent Betroffenen sei immer noch mit 110.000 zusätzlichen Todesfällen zu rechnen. Corona könne die HIV- und Aids-Prävention um zehn oder mehr Jahre zurückwerfen.
Um die HIV- und die Corona-Epidemie gleichzeitig bekämpfen zu können, fordert UNAIDS mehr Investitionen. 2019 seien die Mittel für HIV gegenüber 2017 um sieben Prozent auf 18,6 Milliarden US-Dollar zurückgegangen. Benötigt würden jedoch 26,2 Milliarden US-Dollar.
"Wir können nicht zulassen, dass arme Länder sich hinten anstellen müssen. Es sollte nicht davon abhängen, wie viel Geld man in der Tasche oder welche Hautfarbe man hat, ob man vor diesen tödlichen Viren geschützt ist", sagt die UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima. "Wir können nicht das Geld für die eine Krankheit nehmen, um eine andere zu bekämpfen. Sowohl die Maßnahmen gegen HIV als auch die gegen COVID-19 müssen vollständig finanziert werden, um massive Verluste an Menschenleben zu verhindern."
aidshilfe.de
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