2024-03-04: Sexkaufverbot birgt Gefahren für Sexarbeiterinnen
Am 8. März wird jedes Jahr der Internationale Frauentag begangen, bei dem Gleichberechtigung und die Emanzipation von Frauen zentrale Themen sind. Die immer lauter werdende Forderung nach einem Sexkaufverbot beziehungsweise dem Nordischen Modell scheint zu diesem Anlass vielen Menschen passend. Beim Nordischen Modell ist eine wichtige Säule die Kriminalisierung der Kunden, die gegen Geld sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, während die Sexarbeitenden selbst straffrei bleiben. „Das kann doch eigentlich nur gut für die Frauen sein“, denken viele. Warum dieser Ansatz zu kurz greift, möchten im Folgenden drei Vertreterinnen der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Frauen* und HIV/Aids in NRW erläutern. Die LAG-Sprecherin Hannah Harms (Aidshilfe Aachen) sowie ihre Kolleginnen Meike Zwilling (Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel) und Manuela Brandt (Aidshilfe Westmünsterland) wissen durch ihre tägliche Arbeit, wie die Situation für viele Sexarbeiterinnen gerade ist – und wie sie sich ändern könnte, falls das Sexkaufverbot kommen sollte. Vorab sei gesagt: In großen Teilen gelten die Ausführungen für Sexarbeitende aller Geschlechter, an dieser Stelle sollen aber die Frauen im Mittelpunkt stehen.
Gehe es um Sexarbeit, müsse eine Sache klar sein, betont Hannah Harms: „Werden die Frauen zum Sex oder zu Praktiken gezwungen, die sie nicht wollen, oder wird ihnen das vom Freier bezahlte Geld nicht ausgezahlt, sprechen wir nicht von Sexarbeit, sondern sind im Bereich Menschenhandel oder sexuelle Ausbeutung. Und das ist verboten, auch jetzt schon. Wir wollen selbstverständlich, dass solche Straftaten verfolgt und geahndet werden. Wenn wir ein Sexkaufverbot ablehnen, heißt das keinesfalls, dass solche Taten befürwortet werden.“ Vielmehr gehe es der LAG darum, die Sexarbeiterinnen in den Blick zu nehmen, die ihre Dienstleistungen freiwillig anbieten. „Weder sind alle Sexarbeitenden Opfer des Systems, noch gut bezahlte Edel-Escorts, die das nur zum Spaß machen“, stellt Harms klar. Die Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen. Die Frauen haben eine Wahl, sie könnten auch anders ihr Geld verdienen. Die Wahl ist allerdings – beispielsweise wegen fehlender Ausbildung oder mangelnder Sprachkenntnisse – oft die zwischen Sexarbeit und Jobs etwa als Reinigungskraft oder Erntehelferin. „Dann gibt es genug Frauen, die sich für die Sexarbeit entscheiden“, sagt Harms. Das bestätigt auch Meike Zwilling, die viele Sexarbeiterinnen aus Dortmund kennt: „Wenn der Verdienst anderswo deutlich niedriger ausfällt, wählen die Frauen Sexarbeit als Erwerbstätigkeit.“ Und Manuela Brandt macht auf einen wichtigen Punkt aufmerksam: „Natürlich haben die Frauen auch Phasen, in denen sie keinen Bock darauf haben und über den Ausstieg nachdenken. Oft kehren sie aber schnell in die Sexarbeit zurück, weil sich für sie dort leichter Geld verdienen lässt, als anderswo.“ Man dürfe nicht den Faktor „Spaß an der Arbeit“ als Maßstab nehmen, sind sich die drei Expertinnen einig. Schließlich gelte für jede Form von Lohnarbeit, dass die meisten Menschen nicht jeden Tag mit der gleichen Begeisterung arbeiten gehen. Auch eine Sexarbeiterin muss keinen Spaß an ihrem Job haben. Sie ist deswegen aber noch lange nicht in einer Situation, in der sie nicht frei entscheiden kann.
Geht man also davon aus, dass die Sexarbeiterinnen einer selbst gewählten Tätigkeit nachgehen, erscheinen die Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz in einem anderen Licht, der Prostitution nicht als Normalität sehen möchte und es als nicht akzeptabel empfindet, wenn Männer Frauen kaufen. Dazu sagt Harms: „Sexarbeiterinnen verkaufen nicht sich und auch nicht ihren Körper, sondern sie bieten in unserem Verständnis eine Dienstleistung an. Das darf man den Frauen nicht verbieten.“ Werde die Frau gegen ihren Willen gezwungen, sei man wieder beim Menschenhandel.
Für die Sexarbeiterinnen bringt das Prostituiertenschutzgesetz, das derzeit evaluiert wird, aus Sicht der LAG-Vertreterinnen einige Nachteile. „Ich glaube nicht, dass es etwas zum Positiven verändert hat“, sagt Zwilling. Insbesondere der Ausweis für Sexarbeiterinnen ist ein Kritikpunkt: „Wer etwa in einem Sperrbezirk kontrolliert wird und einen solchen Ausweis in der Tasche hat, dem wird gleich etwas unterstellt.“ Dabei habe die Frau vielleicht nur Freunde besucht oder war zum Feiern unterwegs. Außerdem werde man gegenüber der Familie angreifbar. „Es ist schon häufiger passiert, dass Familienmitglieder den Ausweis gefunden haben und Frauen deshalb ihre bis dahin geheim gehaltene Tätigkeit offenbaren mussten. Das Dokument bringt also Unsicherheit, nicht Sicherheit.“ Harms betont: „Sexarbeit ist unglaublich stigmatisiert.“ Sie würde nie in einem Lebenslauf auftauchen, auch wenn Sexarbeit rein rechtlich gleichgesetzt sei mit anderen Jobs. Außerdem, so ergänzt Brandt, habe sie das Gefühl eines Rollbacks, wenn Menschen mit derartigen Ausweisen gekennzeichnet würden.
Eine Art Testlauf für ein Sexkaufverbot gab es während der Corona-Pandemie, denn die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen kamen einem Verbot recht nahe. Das Ergebnis: Die Sexarbeit wird aus dem legalen in den illegalen Bereich gedrängt. Gesetzestreue Freier bleiben weg, diejenigen, die nicht viel auf Vorschriften geben, suchen die Sexarbeiterinnen trotzdem auf. Das sind dann unter Umständen auch diejenigen Männer, die sich nicht an Absprachen halten und die insgesamt für die Frauen gefährlich sind. Fehlen Bordelle und sichere Wohnungen für die Sexarbeit, steigt die Unsicherheit weiter. Zudem wird es für die Frauen schwieriger, ein Netzwerk aus vertrauenswürdigen Menschen aufzubauen, an die sie sich bei Problemen wenden können.
„Das Nordische Modell entmündigt die Frauen ein Stück weit. Zu den Forderungen beim Internationalen Frauentag zählt das Recht von Frauen, selbstbestimmt zu arbeiten“, erklärt Harms. Dies sei mit einem Sexkaufverbot nicht möglich. Aus ihrer Sicht sei auch die Kriminalisierung der Kunden nicht richtig: „Was spricht dagegen, dass ein freiwilliges Angebot genutzt wird?“ Nicht alle Kunden seien schlechte Menschen, gibt auch Zwilling zu bedenken: „Manchmal sind es sogar die Freier, die sich melden, wenn ihnen etwas seltsam vorkommt und sie das Gefühl haben, dass eine Frau von Menschenhandel betroffen sein könnte.“
Die Arbeit der Aidshilfe und Prävention würde durch ein Sexkaufverbot ebenfalls deutlich erschwert: „Die akzeptierende Beratung ist für uns der Schlüssel“, sagt Zwilling. „Die Frauen werden so angenommen, wie sie sind, sie werden nicht verurteilt, sondern ihnen werden Möglichkeiten aufgezeigt. Das muss nicht immer auf einen Ausstieg hinauslaufen“, sagt sie. Corona habe gezeigt, dass schnell Misstrauen entstehe, erklärt Brandt, „auch uns gegenüber“. Ohnehin sei die Arbeit nicht einfach, schließlich sei es in der Regel aufsuchende Arbeit. „Wir gehen zu den Arbeitsstätten der Sexarbeiterinnen. Es wäre eine große Barriere, wenn Plätze wie Bordelle oder ein Straßenstrich wegfallen“, sagt Harms. „Wenn sich alles so weit in den illegalen Bereich verlagert, dass die Polizei die Frauen nicht mehr finden kann, dann finden wir sie auch nicht. Solche verstecken Orte sind für die Sexarbeiterinnen sehr unsicher.“ Die LAG-Mitarbeitenden sind überzeugt, dass das Nordische Modell dazu führen würde, dass diejenigen mit der Sexarbeit aufhören, die gute Alternativen haben. Für alle anderen würde die Situation prekärer.
Und was ist mit der Beschaffungsprostitution? Oder der Armutsprostitution? „Wir gehen davon aus, dass dabei die Sexarbeit das Symptom ist und nicht die Ursache. Man müsste also versuchen, die Armut zu bekämpfen oder bei der Suchtproblematik helfen, und nicht die Sexarbeit als das größte Problem sehen“, sagt Harms. „Das Nordische Modell würde im Fall der Beschaffungsprostitution auch nicht helfen“, ist Zwilling sicher. „Die Kunden dort kommen trotzdem, die schreckt ein Sexkaufverbot nicht.“
Was wären also Alternativen? „Das Sexkaufverbot bringt keine Verbesserung sondern kann den Sexarbeiterinnen sogar eher schaden“, sagen die LAG-Mitarbeitenden. Stattdessen sollte besser an anderen Stellschrauben gedreht werden, um die Situation der Frauen zu verbessern. NRW sei im bundesweiten Vergleich schon recht gut aufgestellt mit Beratungsstellen, das sollte genutzt und ausgebaut werden. Präventionsarbeit, der Aufbau von Vertrauen in die Institutionen der Sozialarbeit durch akzeptierende Beratung sowie seriöse Ausstiegsangebote könnten sinnvolle Ansätze sein.
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