2023-11-23: Wir stellen vor: Marie aus der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit – Aidshilfe Münster
Marie ist eine junge Frau voller Enthusiasmus und Energie. Das merkt man bereits in den ersten Minuten. Sie ist nicht etwa hereingerutscht in die Position der Beraterin über HIV und STI für Frauen* mit HIV und in die Kinderwunschberatung für queere Familien.
Es kam so: Nachdem Marie 2019 ihr Studium der sozialen Arbeit an der Fachhochschule Münster erfolgreich abgeschlossen hatte, begann sie im selben Jahr beim Caritasverband für den Kreis Coesfeld eine Stelle in der Migrationsberatung. Sie hatte bereits während des Studiums an einer Schulung der BUND Jugend NRW für Multiplikator*innen zum Thema Flucht, Migration und Umwelt teilgenommen und danach begonnen, selbst Workshops in verschiedenen Formaten wie beispielsweise Schulen oder dem Camp for future am Hambacher Wald anzubieten. Dabei lag ihr besonderes Interesse bei den gesellschaftlichen Macht- und Ohnmachtsverhältnissen, den Diskriminierungskategorien sowie den queerfeministischen Themen wie geschlechtliche Vielfalt, sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung und Rollen- oder Geschlechtsidentitäten.
Zu ihrem Leidwesen musste Marie jedoch sowohl in der Beratung innerhalb ihrer Stelle beim Fachdienst Migration und Integration der Caritas für den Kreis Coesfeld als auch in vorangegangenen Praktika beim Caritasverband für die Stadt Münster und bei profamilia feststellen, dass es ihr nicht möglich war, sich für Frauen* mit und ohne Fluchtgeschichte in dem Maß zu engagieren, wie es ihren Bedürfnissen und vor allem denen der Frauen* entsprach. Oft traf sie bei den Frauen* auf großes Interesse und spürte, dass sie zu gerne mehr machen würden, mehr lernen, Sprachkurse besuchen und sich mehr austauschen wollten. Aber es war ihnen oft einfach nicht möglich. Sie versorgten die Kinder und waren verantwortlich für den Haushalt, sie hatten häufig keine Deutschkurse besuchen können, verfügten über wenig finanzielle Ressourcen und lebten zum Teil in Sammelunterkünften in eher ländlicheren Gegenden, was lange An- und Abreisen bedeutete. Frauen*, die zusätzlich psychisch belastet sind, können eine derart hohe Hürde kaum bewältigen. Das arbeitete in Marie und ließ sie einfach nicht los. Als dann eine Kollegin sie auf die Stellenausschreibung der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit in Münster – Aidshilfe Münster (FSG) aufmerksam machte, hat sie sich ohne langes Zögern beworben und wurde tatsächlich eingestellt.
Seit März 2023 verstärkt Marie also die FSG in Münster. Und sie ist begeistert. Von ihren (Entfaltungs- und Bildungs-) Möglichkeiten, vom Vorstand, ihren Kolleg*innen sowie den Ratsuchenden, von der strukturellen und politischen Ausrichtung der Einrichtung, von der Offenheit, der Vielseitigkeit und Vielfalt und nicht zuletzt von der guten Vernetzung. Und von noch vielem mehr.
Sie arbeitet – wohlgemerkt neben ihrem Masterstudiengang "Beratung, Mediation und Coaching" an der FH Münster – 32 Stunden in der Woche in der Fachstelle und nimmt am Wochenende an Schulungen teil bzw. leitet selbst zusammen mit anderen Workshops. So zum Beispiel Anfang Oktober ein Grundlagenseminar für Ehrenamtliche.
In der FSG in Münster hat sie nun endlich die Möglichkeit, sich den Frauen* umfangreicher und auf unterschiedlichen Ebenen zu widmen. Ihrer Natur entsprechend ist es auch schier unmöglich, sie auf ein bis zwei Schwerpunkte in ihrer Tätigkeit zu reduzieren. So hält sie neben ihrer Arbeit in der "AG-Begleitung" (für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen) die offene Sprechstunde in der Uniklinik Münster, ein niedrigschwelliges Angebot, welches ihre Vorgängerinnen zusammen mit der Uniklinik initiiert haben, aufrecht. Jeden Montag ist sie von 10 bis 13 Uhr in einem Büro an der Uniklinik für Menschen da, die dort eintreffen und sich untersuchen bzw. behandeln lassen. Das Angebot macht es ihnen möglich, direkt im Anschluss an ihren ärztlichen Termin im selben Haus eine Beraterin zu kontaktieren, ohne vorher noch einen Termin koordinieren und/oder zu einem anderen Ort fahren zu müssen. In den Räumlichkeiten der FSG führt Marie mit den Ratsuchenden Gespräche auf dem breiten Themenfeld der sexuellen Gesundheit. Sie ist dabei so manches Mal erstaunt über den immer noch vorurteilsbelasteten und konservativen Kenntnisstand vieler Menschen zu HIV und Sexualität, erlebt aber auch viel wundervolle Offenheit und Neugierde.
Marie ist eine große Freundin von vernetztem Arbeiten. Sie versucht mit ihren Kolleg*innen gemeinsame Angebote zu schnüren und Selbsthilfegruppen zusammenzubringen, Kontakte herzustellen, den Austausch zu fördern. Ähnlich wie Svenja aus Essen empfindet Marie die vernetzten Strukturen gerade hier und bei XXelle als ausgesprochen gewinnbringend und hilfreich. Mit XXelle Bielefeld plant sie beispielsweise gerade eine Hebammenschulung. Sie nimmt gelegentlich am Runden Tisch der Polizei gegen Queerfeindlichkeit teil und hat regelmäßige Termine mit der Landesarbeitsgemeinschaft für Regenbogenfamilien, veranstaltet zusammen mit ihren Kolleg*innen jeden 1. Mittwoch im Monat von 11 bis 13 Uhr das "Regenbogenfrühstück" für Menschen mit HIV, kümmert sich im kleineren Rahmen um Finanzierungsfragen (Beispiel: Weihnachtsbeihilfe, Zuzahlungsbefreiungen, Bildungs- und Teilhabepakete) und begleitet ihre Klient*innen zu Terminen bei Arztpraxen, bei Krankenkassen oder Ämtern. "Man ist hier ein bisschen Mädchen für alles", sagt sie denn auch wenig überraschend. Aber das macht es auch so spannend für sie.
Für Marie steht bei ihrer Arbeit im Vordergrund, Menschen mit oder ohne HIV zu entlasten, sie in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und -phasen akzeptierend und bestmöglich soweit zu unterstützen und zu empowern, dass sie selbst mit den Hürden, die ihnen immer wieder in den Weg gestellt werden, ihr Leben und ihren Alltag meistern können.
Viele Frauen*, die sich an die Fachstelle für Sexualität und Gesundheit wenden, haben eine Fluchtgeschichte. Nach Münster kommen neben Menschen aus der Ukraine auch viele vom afrikanischen Kontinent. Sie – so erlebt es Marie – sind meist schon mehrere Jahre hier. Bei ihnen findet die Beratung und Begleitung mehr auf dem Feld der Migrationsthematik statt, da sie zum Beispiel noch auf eine Rückmeldung vom Bundesamt für Migration und Flucht warten und keine Entscheidung über ihren Aufenthaltsstatus haben, wenn es Wohnsitzauflagen gibt oder Behandlungsscheine benötigt werden, da ein Zugang zur Regelversorgung in der Krankenkasse fehlt.
Die Frauen*, die aus der Ukraine kommen, haben diese Thematiken nicht. Sie müssen keinen Asylantrag stellen, sind meist medikamentös gut eingestellt und informiert, haben ihr eigenes Netzwerk. Auch der Arbeitsmarkt steht ihnen sofort zur Verfügung. Aber auch sie sind oft psychisch belastet, können häufig weder Deutsch noch Englisch und leben daher mit Informations- und Sprachbarrieren.
Bei den ursprünglich aus Deutschland stammenden Frauen* geht es hingegen nach wie vor vorrangig um eine Beratung von Angehörigen oder darum, wie solche Gespräche selbst geführt werden können. Es geht um Stigma-Beratung und den Wunsch nach Austausch mit ebenfalls positiven Frauen*, die vielleicht auch mit dem Schrecken einer Diagnose vor 30 Jahren umgehen mussten und bis heute mit kaum jemandem über ihre Erfahrungen gesprochen haben.
Die Queerberatung wird über das Amt für Gleichstellung in Münster finanziert und soll hier nur kurz benannt werden. In diesen Beratungen treten viele Fragen zu Partnerschaft und Kinderwunsch auf, zu Diskriminierungserfahrungen und der Lebensgestaltung, zum Familienbegriff oder einfach nach Vernetzungsmöglichkeiten. Auch sie ist ein wichtiger Baustein der Beratungsangebote der FSG Münster und bildet einen Schritt hin zu einer Sicherung und Erhaltung sexueller Gesundheit.
Man kann zusammenfassend sagen, dass die Position bei der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit für Marie ideal ist, denn sie entspricht ihren Interessen in vollem Umfang und bietet ihr die Möglichkeit, Erlerntes und Berufserfahrung anzuwenden. "Es ist ein Spagat zwischen all den Aufgaben, aber das macht es spannend. Ich fühle mich unglaublich wohl, es ist ein tolles Netzwerk. Ich sitze hier mit tollen Menschen zusammen." Sie hat hier das Gefühl, etwas verändern, etwas bewegen zu können, das gibt ihr Kraft. Daher ist sie mit viel Leidenschaft und Herzblut dabei.
Weiter so! Wir freuen uns!
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