2023-03-07: Immer noch erfahren Frauen mit HIV Diskriminierung

Die diskriminierung, die Frauen mit HIV im Gesundheitswesen erfahren, zerstören jedes Vertrauen in die Ärzte*innenDie Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und HIV/Aids in NRW beklagt zum Internationalen Frauentag: Fälle im Gesundheitswesen wiegen besonders schwer. Die Presseinformation über die Diskriminierung von Frauen mit HIV lesen Sie hier (PDF-Datei).

Corona hatte für viele Menschen drastische Auswirkungen. Das lag nicht nur an der Krankheit selbst, sondern auch an allen gesellschaftlichen Folgen, die die Pandemie mit sich brachte: Isolation, Angst vor Ansteckung, Lockdowns... Für die Gruppe der HIV-positiven Frauen hat es noch eine weitere dramatische Entwicklung gegeben, denn die Diskriminierung hat massiv zugenommen, berichten Alexandra Frings von der Aidshilfe Aachen und Manuela Brandt von der Aidshilfe Westmünsterland übereinstimmend. Als sei die Zeit zurückgedreht worden, gibt es seither wieder mehr unbegründete Ängste vor Übertragung, werden positive Frauen ausgegrenzt und stigmatisiert.

"Bei uns hatten gerade auch die Frauen in den zentralen Unterbringungseinrichtungen Probleme", erzählt Manuela Brandt. Hatten sie sich mit Corona angesteckt und mussten sich isolieren, war es ihnen kaum möglich, die Medikamente für ihre Therapie zu bekommen. "Die Rezepte zu zeigen oder jemand anderem zu geben, hätte ein Outing bedeutet", sagt Brandt. Das wollten die Frauen aber meist um jeden Preis verhindern. Denn bei vielen Nationalitäten auf engem Raum unter einem Dach kann eine HIV-Infektion, die bekannt wird, zu Ausgrenzung und Konflikten führen. Außerdem, sagt Brandt, habe es unter Corona-Bedingungen mehr Fälle von häuslicher Gewalt gegeben und Schwangerschaftsabbrüche seien teilweise kaum möglich gewesen. Auch Alexandra Frings kennt viele problematische Fälle: "Da war zum Beispiel eine HIV-positive Frau, die vaginal entbinden wollte. Sie hat weit und breit nach langer Suche nur eine Klinik gefunden, wo das schließlich möglich war. Generell mussten die Frauen in der Pandemie am meisten schultern – und bei den positiven Frauen war es immer noch ein bisschen mehr." Finanzielle Engpässe und Jobverlust hätten viele Frauen schwer getroffen, vor allem für Alleinerziehende sei es wegen der Kinderbetreuung in den Lockdowns teilweise kaum möglich gewesen, ausreichend Geld zu verdienen.

Depressionen und Selbststigmatisierung haben die beiden Aidshilfe-Mitarbeiterinnen ebenfalls vermehrt beobachtet. Ein Grund: Selbsthilfeangebote konnten oder wollten nicht genutzt werden, eine wichtige Unterstützung brach damit weg. Auch wenn die Aidshilfen auf digitale Angebote ausgewichen seien, andere Alternativen geschaffen wurden, konnten damit leider nicht alle Frauen erreicht werden. "Denn nicht jede hat die technischen Möglichkeiten und Kenntnisse", verdeutlicht Brandt.
Beide hoffen nun, dass sich mit der allmählichen Normalisierung des Lebens nach Corona auch die Situation für die positiven Frauen wieder verbessert. Alexandra Frings glaubt, dass die Ängste der Menschen bald zurückgehen, Manuela Brandt ist weniger optimistisch. Sie fürchtet, dass es viel Zeit brauchen wird, die Rückschläge durch die Pandemie wettzumachen.

Doch auch vor Corona waren HIV-positive Frauen viel zu oft Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt. Die Erlebnisse reichen von klarer Benachteiligung bis zu scheinbar kleinen Ereignissen, die dennoch schmerzen – wenn etwa in der Arztpraxis plötzlich zwei Paar Handschuhe übereinander getragen werden. "Die Diskriminierung ist nicht zwingend sichtbar", betont Brandt. Besonders betroffen sind Frauen, die gleich aus mehreren Gründen Diskriminierung erfahren: weil sie HIV-positiv sind, weil sie einen Migrationshintergrund haben, weil sie in einer Unterbringungseinrichtung leben. Die Benachteiligung konnte Brandt schon oft beobachten: "Viele Frauen wünschen sich eine Begleitung, zum Beispiel in Kliniken, da sie häufig deutlich länger warten müssen und sehr schnell weggeschickt werden, wenn nicht alle Papiere vorliegen. Oder es gibt Frauen aus der Ukraine, die plötzlich nicht ohne Dolmetscher behandelt werden können. Wir bekommen die Kommunikation doch auch irgendwie hin, und wenn die Frauen zum Arzt gehen, brauchen sie Hilfe!"

Manche Praktiken, gerade im Gesundheitswesen, ließen in puncto Rechte und Datenschutz zu Wünschen übrig, sagt auch Frings: "Es gibt immer noch Arztpraxen, bei denen HIV groß auf der Akte steht, die dann dort offen auf dem Tresen liegt. Oder die Eintragung HIV-positiv im Mutterpass. Wenn wir davon erfahren, schreiten wir ein und wir informieren. Mit ‚Praxis Vielfalt’ gibt es außerdem einen Zertifizierungsprozess für Arztpraxen und Klinikstationen, bei dem es um angemessenes Verhalten zum Beispiel gegenüber Patient*innen mit HIV, gegenüber PoC oder der LGBTIQ-Community geht." Oftmals fehle es in den Gesundheitsberufen an aktuellen Kenntnissen zu HIV. Es herrsche nach wie vor Unwissenheit über ausreichende Hygienemaßnahmen, über die Nicht-Übertragbarkeit von HIV im Alltag und unter Therapie. Dementsprechend würden zum Beispiel Schwangere falsch beraten und zum Kaiserschnitt gedrängt oder ihnen werde der Wunsch, das Kind zu stillen, ausgeredet.

"Gerade im Gesundheitswesen ist Diskriminierung eine Katastrophe", sagt Frings. Bei HIV als chronischer Infektion seien Menschen mit HIV immer auf Ärzte angewiesen. Diskriminierungserfahrungen dort seien ein Super-GAU und könnten dazu führen, dass Frauen ihre Infektion beim nächsten Mal nicht mehr angeben, nicht mehr zum Arzt gehen oder ihre Therapie sogar abbrechen. Auch werde das Selbstwertgefühl massiv verletzt und die Diskriminierungserfahrung wirke in viele Lebensbereiche hinein nach.
HIV muss in der generalisierten Ausbildung in der Pflege einen Platz haben, sind sich Frings und Brandt deshalb einig. Beide betonen, dass die Aus- und Weiterbildung des Pflegepersonals eine immense Bedeutung habe. "Zunehmend wichtig wird die Altenpflege. HIV-positive Menschen werden immer älter, aber es ist sehr schwer, zum Beispiel einen Pflegedienst für sie zu bekommen", sagt Brandt. Niemand solle mit Angst arbeiten müssen, aber die Infektionsängste seien unbegründet, betonen die Aktivistinnen. Deshalb seien Sensibilisierung, Aufklärung und Wissensvermittlung so enorm wichtig.

Von Diskriminierung betroffenen HIV-positiven Frauen raten sie, Angebote zur Selbsthilfe zu nutzen und Antidiskriminierungsstellen hinzu zu ziehen. Das ist auch anonym möglich. "Die Leute sind oft sprachlos und wissen nicht, was sie antworten sollen oder wie sie am besten reagieren. Wir von der Aidshilfe möchten hier das deutliche Signal senden: 'Ihr seid nicht allein! Es gibt Hilfe!' Man muss in solchen Situationen nicht hilflos zurückbleiben", erklärt Frings.

Die Aidshilfe-Mitarbeiterinnen wissen aber, dass manche Verletzung aus Unwissenheit geschieht: "Werden diejenigen auf ihr Verhalten angesprochen, entschuldigen sie sich oft aufrichtig für die falsche Wortwahl oder das unangemessene Handeln." Es sei wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, damit solche unabsichtlichen Fälle von Diskriminierung nicht mehr vorkommen.

Eine weitere Strategie, wie man sich selbst schützen kann, ist Empowerment. "Die Frauen können sich bewusst machen, dass sie gut und richtig sind, so wie sie sind. Das Problem liegt nicht bei ihnen, sondern bei ihrem Gegenüber." Dass das nicht jeder gelingen könne und mit den jeweiligen Erfahrungen, Prägungen und der persönlichen Geschichte zusammenhänge, sei klar. Auch die Vernetzung mit anderen HIV-Positiven sei deshalb ein wichtiger Baustein.

Eine Gelegenheit, mit diesem starken Netzwerk aufzutreten, ist der Internationale Frauentag am 8. März. An diesem Tag werden auf der ganzen Welt wieder Frauen für ihre Rechte eintreten – auch diejenigen mit HIV.

https://hiv-diskriminierung.de/positive-stimmen-20"positive stimmen 2.0"

Mit der Frage, wie HIV-positive Menschen heute leben und ob sie diskriminiert werden, hat sich das Projekt "positive stimmen 2.0" beschäftigt. Dabei wurden sowohl eine peer-to-peer-Befragung als auch eine online-Umfrage und Fokusgruppen-Interviews durchgeführt. Die Ergebnisse sind ernüchternd: So haben Frauen mit HIV im Durchschnitt häufiger psychosomatische Beschwerden und eine niedrigere Lebenszufriedenheit, sie sind stärker durch Vorurteile gegenüber HIV beeinflusst und empfinden die erlebte Stigmatisierung höher. Außerdem neigen sie mehr zur Selbststigmatisierung, verinnerlichen also die negativen Zuschreibungen.
Ähnliche Ergebnisse gibt es bei den BPoC.

Immer wieder gaben die Teilnehmer*innen des Projekts auch Einblicke in das Problemfeld der HIV-bezogenen Diskriminierung im Gesundheitswesen. Mehr als die Hälfte der Befragten hat innerhalb der letzten zwölf Monate negative Erfahrungen mit Diskriminierung machen müssen. Sie reichten von unangebrachten Fragen, über die Vermeidung von Körperkontakt und die Missachtung des Datenschutzes bis zur Verweigerung der Behandlung. Die "positiven stimmen" fordern, dass sich das ändern muss!

Weitere Informationen zum Projekt: hiv-diskriminierung.de

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